24. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft in Krutyn

24. Kultur- und Begegnungsfest in Krutyn, Teilnehmer

Bereits zum 24. Mal fand im masurischen Krutyn vom 17.-19. Mai das Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft statt. Thema der Seminar-Veranstaltung war: „Das Bild der Heimat und ihrer Menschen in den Werken von Richard und Fritz Skowronnek, Siegfried Lenz, Johannes Bobrowski, Herbert Reinoß und Arno Surminski.

Schon die Liste der Schriftsteller versprach interessante Einblicke in den Wandel des Heimatsbegriffs und des vermittelten Heimatbildes im Laufe der Jahrzehnte. Die Wahrnehmung des ehemaligen Ostpreußens vor allem steht derzeit an einem weiteren Wendepunkt. Bald wird es keine Ostpreußen mehr geben, die noch eigenes Wissen, eigene Erinnerung vermitteln können. Umso wichtiger wird die Vermittlung über die Literatur. Das vermittelte Bild Ostpreußens kommt heute aus einer anderen Perspektive, Besucher erleben ein anderes Land mit einer neuen regionalen Kultur, die wieder bestrebt ist, die deutsche Vergangenheit und die multikulturelle Kultur des alten Ostpreußens zu integrieren. So sind es heute überwiegend polnische Wissenschaftler, die sich mit Schriftstellern aus der Region beschäftigen, die in Deutschland teils fast vergessen sind. Entsprechend international war auch der Kreis der Referenten.

Tadeusz Willan bei einem Seminar der Masurischen Gesellschaft, Foto: Brigitte Jäger-DabekTadeusz Willan, der Vorsitzende der Masurischen Gesellschaft begann das Seminar mit einer kleinen Feierstunde zu Ehren des zwanzigjährigen Jubiläums des Beauftragten des Marschalls (Landtagspräsident) für Angelegenheiten nationaler und ethnischer Minderheiten und des zehnjährigen Jubiläums der Beauftragten des Woiwoden für Angelegenheiten nationaler und ethnischer Minderheiten Joanna Wańkowska-Sobiesiak.

Wiktor Marek Leyk dankte für die Glückwünsche und wies bereits auf das im nächsten Jahr stattfindende 25. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft hin. Was einstmals klein anfing, sei im Laufe der Jahre durch die Dokumentation in der Masurischen Storchenpost zu einem Kompendium angewachsen, das alle Bereiche der Regionalkultur umfasse. Möglich sei das nur gewesen, weil Tadeusz Siegfried Willan einer der wenigen Menschen sei, der sowohl in literarischem Deutsch als auch Polnisch schreiben könne.

Die Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland Anette Klein trat bei der Masurischen Gesellschaft ihren Abschiedsbesuch an, denn sie wechselt in einen neuen Aufgabenbereich. Sie habe sich in Polen und besonders in Masuren immer unter Freunden gefühlt. Die deutsch-polnischen Beziehungen beurteilte die Diplomatin als beispielhaft. Man handle inzwischen gemeinsam und könne sogar miteinander streiten, wie die dennoch immer freundschaftlichen Begegnungen zwischen Donald Tusk und Angela Merkel belegen. Dem stimmt Wiktor Marek Leyk zu: besser könne es gar nicht sein und besser war es nie in der Geschichte.

Hanna Schönherr, Lehrerin aus Giżycko (Lötzen) stellte den masurischen Schriftsteller Herbert Reinoß und sein Masurentum vor. Alles, was Reinoß in seinen Büchern beschrieb, sei so nur in Masuren möglich gewesen erklärte Hanna Schönherr. Die Nachkriegsreisen führten Reinoß in eine Welt, die ihm erschien, als ob ein Teil davon extra übriggeblieben sei. Er selbst habe Masuren immer als ein Stiefkind Preußens und Deutschlands gesehen, die große Welt sei für ihn immer woanders gewesen. Begeistert hingegen sei Reinoß immer von der Erzählkunst seiner Landsleute gewesen. Aus diesem Schatz habe Reinoß sein Leben lang geschöpft, wobei die Abgeschiedenheit Masurens ihre Vorteil zeigte. Stets verstand Reinoß Masuren als Gegenentwurf zur heutigen Welt, die er als verwestlicht sehe und deren zivilisatorischer Fortschritt für ihn eine Verarmung sei. Masuren habe ihn immer zu seinen Wurzeln und zum einfachen Leben zurückgeführt, von wo aus er gegen den Untergang anschreibe, schloss Hanna Schönherr.

Jörg Naß, Orgelbauer aus Rheine, ist durch seine Tätigkeit als Orgelrestaurator in Litauen mit dem Schriftsteller Johannes Bobrowski in Berührung gekommen und fing rasch Feuer. Die Geschichten, Charaktere und Landschaften begannen schnell ihn zu faszinieren und bald wurde er zum Bobrowskikenner. Jörg Naß kaufte Einrichtungsteile und Exponate als die Bobrowski-Wohnung in der Berliner Ahornstraße aufgelöst wurde, packte sie in seinen Transporter und fuhr sie nach Willkischken, wo er ein Bobrowski-Museum einrichtete. In seinem fesselnden Vortrag berichtete Jörg Naß nicht nur über dieses große Abenteuer Bobrowski-Museum, sondern auch mit vielen Bildern und Textabschnitten über Leben und Werk des Schriftstellers.

Der Danziger Professor Miroslaw Ossowski referierte über Masuren im Werk von Arno Surminski. Er stellte in seinem Vortrag dar, was Surminski von anderen masurischen Schriftstellern unterscheidet. Surminski war zu Kriegsende noch ein Kind. Viele seiner Werke haben autobiographische Züge. Sei Heimatort Jäglack bei Rastenburg (Węgorzewo) jedoch gehört streng genommen nicht mehr zu Masuren und liegt in der Mitte zwischen Königsberg und Masuren. Daher sieht Surminski die Region im größeren historischen Zusammenhang Ostpreußens und fühlt sich dem auch verpflichtet. Auch gibt es bei Surminski immer wieder Gegenwartsbezüge, in dem er seine Protagonisten Reisen in das heutige Masuren machen lässt und dabei die Geschichte Masurens aufrollt. Dort ist Masuren oft auch als Treffpunkt von Begegnungen zwischen West und Ost geschildert.

Tzuzuko Abe, Referentin aus Osaka, JapanTzuzuko Abe aus Osaka in Japan, deren Doktorarbeit sich auch mit der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren befasst, trug in Krutyn über Herbert Reinoß vor und sein Buch „Märchenland der Kindheit“. Nichts und niemand hat Reinoß die in seinem Inneren abgespeicherten Bilder Masurens nehmen können. Rund 35 Jahre nach dem Verlust seiner masurischen Heimat kehrte Herbert Reinoß erstmals in seinen Heimatort Rydzewen zurück und stellte dabei fest, dass sein Kindheitsland ein Märchenland sei. Das Masuren seiner Kindheit stilisiert Reinoß zu einem Ideal hoch, das jedoch mehr Idylle als tauglicher Lebensentwurf ist. Der Traum vom einfachen Leben in Masuren – das längst nicht mehr so einfach ist, wie in der Idylle – als Kontrastentwurf zum amerikanisch-westlich geprägten Lebensstil ist allzu schwarzweiß gefärbt. Auch Märchenländer nämlich bleiben nicht unverändert stellt Tzuzuko Abe fest, eher lebbar seien die Grautöne. Masurens Seen und Wälder aber seien durchaus etwas Besonderes, erklärt Tzuzuko Abe, auch habe Masuren zweifellos Heilkraft, hier könne man eigene Verletzungen heilen. Masuren heute heile sogar verlorene Toleranz und Weltoffenheit, selbst nach einem solchen Krieg. In diesem Sinne könne Masuren ein Brücke zwischen West- und Osteuropa bilden bei den Menschen. Und Masuren könne eine Brücke von der Geschichte in die Zukunft bauen. In diesem Sinne seien wir alle Masuren, schloss Tzuzuko Abe ihre Ausführungen.

Dr. Grzegorz Supady von der Universität Olsztyn (Allenstein) las Kurzprosa und Gedichte des folgenden Referenten Prof. Dr. Zbigniew Chojnowski vor, die mit vielen Anspielungen und Betrachtungen über Masuren und seinen Nachbarregionen gespickt waren.

Prof. Dr. Zbigniew Chojnowskis Thema war „Die neuen Bewohner Masurens halten das Gedächtnis an Fritz Skowronnek (1858—1939) wach“. Auch die Sowronnek-Brüder stammten wie mehrere masurische Schriftsteller aus einer Försterfamilie. Sie wuchsen auf in einem Försterhaus nahe der Grenze zum damaligen Russisch-Polen. In Deutschland sind die Skowronneks als Heimatliteraten fast vergessen, Texte aus dieser vom Nationalismus geprägten Zeit sind heute schwer zu vermitteln. Doch in Polen suchen immer mehr Literaturwissenschaftler die Texte im Kontext der Zeit zu erklären. In jedem Fall haben auch die Texte von Fritz Skowronnek einen großen Erinnerungswert, wegen der untergangenen Kultur Masurens, aber auch als Zeitzeuge des Ersten Weltkriegs in Ostpreußen. In seinen Werken lässt er die damalige Gemütslage der Bevölkerung erfassbar machen. Das gilt auch für die Zeit der Volksabstimmung 1920, die schwierig und von überschäumendem Nationalismus und Patriotismus geprägt war. Prof. Dr. Chojnowski sieht eine Neuinterpretation und Neubewertung des Werks und seiner literarischen Qualität als überfällig an. Sicher gehörten Fritz Skowronneks Werke zu Populärliteratur, doch war er es, der Masuren in die deutsche Literatur überhaupt erst einführte, meinte er.

Brigitte Jäger-Dabek aus Stade in Deutschland referierte über Siegfried Lenz‘ 1987 erschienene Werk „Heimatmuseum“ und den gesellschaftlichen Diskurs, den der 655 Seiten dicke Roman auslöste. In den Zeiten der Brandtschen Ostpolitik und der Öffnung nach Osten erntete Lenz Anfeindungen aus der rechten Ecke und galt bei den Vertriebenenverbänden als Verräter und Verzichtpolitiker. Sein neues Heimatbild der „anderen Ostpreußen“ passte nicht in die Denkschemata derjenigen, für die Flucht und Vertreibung scheinbar keine Vorgeschichte hatten.

Dr. Marlena Żółtowska-Sikora aus Warschau widmete ihren Vortrag dem Masurenbild bei Richard Skowronnek (1862—1932), dem Bruder und Schriftstellerkollegen von Fritz Skowronnek, der wie sein Bruder Richard mit seinen Werken nicht zum Kanon deutschsprachiger Literatur gehört. Zu seiner Zeit aber trafen seine Romane auf großes Publikumsinteresse und wachsende Popularität. Die Texte waren leicht lesbar, da sie stets auf vielen Dialogen basierten. Einzugliedern ist Richard Skowronneks Werk in die Heimatkunstbewegung mit ihrer Zivilisationskritik, in der die Idylle aufblühte. Es ist eine Zeit gewesen, in der das Bürgertum sich dem Traditions- und Legitimationsverfall entgegensetzte und sich zur Heimat hinwendet. So sei die Einmaligkeit der Provinz – in diesem Falle Masurens – entdeckt worden.

Vorträge in der “Masurischen Storchnepost” lesen:

Masurische StorchenpostDie Vorträge des Seminars, die in deutscher Sprache gehalten wurden, werden im Laufe der nächsten Ausgaben in der seit 1990 monatlich erscheinenden Kulturzeitschrift „Masurische Storchenpost“ abgedruckt, deren Herausgeber und Chefredakteur der Journalist Tadeusz Siegfried Willan ist. Bezug über Tadeusz Willan, skr. poczt. 117, 10-001 Olsztyn, willan@poczta.onet.pl