Krutyn: 27. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft

Die Reformation und ihre Menschen

Teilnehmer 27. Kultur-und Begegnungsfests der Masurischen Gesellschaft in Krutyn, Foto: B.Jäger-Dabek

Teilnehmer 27. Kultur-und Begegnungsfests der Masurischen Gesellschaft in Krutyn, Foto: B.Jäger-Dabek

Vom 29. Bis 31. Mai fand im Hotel Habenda in Krutyn (Krutinnen) das 27. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft statt, das diesmal ganz dem Thema „Die Reformation und ihre Menschen” gewidmet war.

Tadeusz Willan, der Vorsitzende der Masurischen Gesellschaft begrüßte die aus Deutschland und Polen angereisten Teilnehmer und Referenten und stimmte auf die Vorträge mit einer kurzen Zusammenfassung dessen, was von Luthers Wirken bis heute aktuell ist. So war unter anderem Luthers Bibelübersetzung der maßgebliche Anstoß für eine einheitliche deutsche Schriftsprache. Die Umwälzungen der Reformation brachten zudem einen Bildungszugang für breitere Schichten, aus vielen Klöstern wurden Schulen.

Am ersten Tag ging es beim Seminar zunächst um Aspekte des Lebens von Martin Luther. Hanna Schoenherr aus Giżycko (Lötzen) referierte über Martin Luthers Liebe zur Musik, Kunst und zur deutschen Sprache. Hanna Schoenherr räumte auf mit dem Bild eines lamentierenden Lebensverächters Luther. Im Gegenteil, zeichnete den großen Reformator eine große Liebe zu Gottes Natur und den Künsten aus, ganz besonders aber zur Musik. Die Musik war für Luther die beste Gabe nach der Theologie, verjage Anfechtungen und mache Menschen gelinder und sanftmütiger. Musik ist des Friedens lautete deshalb Luthers Urteil. Er selbst war musikalisch, spielte Querflöte und Laute, schrieb und komponierte selbst. Schon 1524 erschien die erste Liedersammlung. Insgesamt schrieb Luther 27 Kirchenlieder, von denen 24 heute noch im evangelischen Gesangbuch zu finden sind. Sein „Ein feste Burg ist unser Gott“ wurde zu DEM Siegeslied der Reformation. Luther gilt zurecht als der Begründer der neuhochdeutschen Schriftsprache, die sich aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt hatte. Dazu war Luther ein wortgewaltiger Mann und kreativer Schöpfer bis heute gängiger Wortbilder.

Brigitte Jäger-Dabek aus Stade (Deutschland) berichtete über Katharina von Bora, die Lutherin. Sie entwarf ein Bild der Zeit mit ihren großen Umbrüchen und der Lebensumstände, in die Luthers spätere Frau hineingeboren wurde. Die Referentin thematisierte auch die evangelischen Glaubensprinzipien, die Katharina von Bora und andere Nonnen zur Klosterflucht bewegte. Als seine Ehefrau war Katharina von Bora Wirtschafterin, umsorgende Ehefrau und Mutter, dazu Managerin des wachsenden Familienunternehmens und sorgte für die finanzielle Basis der Familie. Dazu war sie geschätzte Diskussionspartnerin, Ratgeberin und Seelsorgerin Luthers. Sie begründete die Tradition des evangelischen Pfarrhauses.

Katarzyna Danilewska berichtete über Georg Andreas Helwing (1666-1748), einen ganz außergewöhnlichen Geistlichen aus ihrer Heimatstadt Angerburg (Wȩgorzewo) und berichtete über seine Spuren in Ostpreußen und der Welt. Der Pfarrerssohn beschäftigte sich schon in jungen Jahren mit der Botanik und Arzneimittellehre. Seine Studienzeit in Königsberg, Wittenberg, Leipzig und Jena schloss er 1688 mit dem Grad des Magisters der Philosophie ab. Doch entsprach er dem Wunsch seines Vaters und absolvierte ein theologisches Studium in Erfurt. Eine ausgedehnte Bildungsreise führte ihn durch Deutschland und bis nach Venedig. 1691 kehrte er als Substitut seines Vaters nach Angerburg zurück, und steig in der Kirchenhierarchie zum Propst und Superintendent auf. 1693 hatte er Katharina, eine Tochter des Andreas Coneius geheiratet und bekam mit ihr neun Kinder. Er führte ein Leben als Geistlicher, Botaniker, Archäologe und verfügte über das größte Herbarium weit und breit. Auch als Naturwissenschaftler war der Pfarrer hochgeschätzt, er entdeckte viele Pflanzen, die Gattung Helwingia wurde nach ihm benannt. Ob seiner wissenschaftlichen Verdienste wurde er auch Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften.

Referent Prof. Dr. Andrzej Saxon, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Prof. Andrzej Sakson, Universität Adam-Mickiewicz-Posen, Foto: B.Jäger-Dabek

Der zweite Seminartag war der „Tag der vier Professoren“. Vier herausragende Wissenschaftler berichteten über regionale, Preußen/Ostpreußen und Masuren betreffende Aspekte der Reformation. Der in Elbing geborene Prof. Dr. Andrzej Sakson ist Soziologe, Professor der Adam-Mickiewicz-Universität Posen und spezialisiert auf ethnische Minderheiten in Polen, insbesondere auf die deutsche Minderheit. Thema seines Vortrags waren die „Eigentümlichkeiten des masurischen Protestantismus im Licht soziologischer Nachforschungen“. Saksons Überblick über die erschienenen Publikationen zum Thema zeigt deutlich die politischen Einflüsse der Nachkriegszeit besonders auf die Soziologie. So spannte sich der Bogen von einer relativen Forschungsfreiheit 1948-50, der eine Phase der stalinistischen Sicht auf die Soziologie folgte und der Versuch sie zu einer bourgeoisen Wissenschaft herabwürdigen und Monographien einzuziehen. In der anschließenden Tauwetterphase 1956-57, die mit einer Ausreisewelle der Masuren aus Deutschland zusammenfiel, führte die dauernde existentielle Überlegung bleiben oder gehen zu einer großen Destabilisierung der masurischen Gesellschaft. Die Forschung beschäftigte sich damals mit dem Erleben der russischen und polnischen Besetzung der Region, mit der Frage, warum selbst die polenfreundlichen Ermländer in Massen ausreisten. Es wurde geforscht, doch hatten die Ergebnisse keine Chance auf Veröffentlichung. Es gab Doktorarbeiten zum Thema, doch brauchten die anders als in Deutschlands nicht veröffentlicht werden. Die Wende 1989 brachte eine Welle von Forschungen und Publikationen ohne jegliche Zensur und andere Barrieren.

Heute sieht nach Sakson das Bild der masurischen Gesellschaft so aus: Masure sein bedeutet evangelisch zu sein. Heute fühlen sich die meisten Masuren der evangelisch-augsburgischen Kirche zugehörig. Evangelische Pfarrer haben eine integrative Funktion bei der Herausbildung einer neuen regionalen Identität. Nach einer von Sakson vorgestellten Untersuchung in 14 Gemeinden bedeutet evangelisch zu sein heute vor allem eine Familientradition (68%), für 43% die Reformation und Luther sowie bei 38% der Glaube an Gott. Trotz des Diasporalebens haben evangelische Masuren heute zu drei Vierteln einen Weg zur Kirche von nicht mehr als fünf Kilometern. Doch nimmt jeder dritte Evangelischen nicht mehr aktiv am Gemeindeleben teil. Das Gros der Evangelischen lebt in einer Mischfamilie.

Prof. Dr. Zbigniew Chojnowski referierte über „Die Reformation und ihre Menschen in masurischen Publikationen“. Der aus Orzysz (Ortelsburg) stammende Literaturhistoriker der Ermländisch-Masurischen Universität Olsztyn (Allenstein) stellte zunächst die neuesten polnischsprachigen Titel zum Thema vor. Nach Chojnowski ist die masurische Literatur eine Frucht der Reformation. Erste Autoren waren evangelische Pfarrer wie Tomasz Molitor (1616–1682), Michał Grodzki und Gustaw Gizewiusz (1810-1848). Sie waren selbst auch oft Dichter und Begründer einer polnischsprachigen masurischen Literatur. Luther hatte auch sie ermutigt in der Muttersprache zu schreiben. Später folgten ihnen Frycz Olszewski und Michał Kajka. Auch die polnischsprachigen Masuren waren evangelisch, auvh wenn der zunehmende Germanisierungsdruck suchte, ihnen die Muttersprache zu nehmen. Polnischsprachig war auch weitestgehend der Pietismus mit seinen speziellen Ausprägungen wie der Gromadki-Bewegung. Besonders wichtig für die polnischsprachigen evangelischen Masuren war Marcin Gerss (Giersz) (1808-1998), der Begründer der polnischen evangelischen Presse in Masuren.

Anschließend sprach Prof. Dr. Grzegorz Jaśiński zum Thema „Die evangelischen Pfarrer im Masuren des 19. Jahrhunderts“. Der Historiker ist Professor an der Ermländisch-Masurischen Universität Olsztyn (Allenstein) stellte die wichtigsten evangelischen Pastoren Masurens im 19. Jahrhundert mit den Besonderheiten ihres Wirkens vor wie Wyncenty Balicki, Herrmann Albert Braun, Johannes Ebel, Friedrich Ballnus (1807-1871), Christian Knapp, Adam Krulczyk, Eduard Moldänke, oder Karl Sterz. Charakteristisch für alles diese Pfarrer war die Prägung durch die Region, der starke Bezug zu Masuren. Die meisten definierten diese Region wie der Pholologe Friedrich Krosta: Wo polnischsprachige Evangelische leben, ist Masuren.

Initiator, Seminarleiter und Moderator Tadeusz S. Willan, Foto: B.Jäger-Dabek

Initiator, Seminarleiter und Moderator Tadeusz S. Willan, Foto: B.Jäger-Dabek

Das Referat von Prof. Dr. Janusz Małłek, das sich mit der Reformation in Polen und Preußen im 16. Jahrhundert beschäftigte, schloss das Vortragsprogramm ab. Darin arbeitete der    die Ähnlichkeiten und Unterschiede heraus. Der Masure Janusz Małłek ist Historiker und Professor an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń (Thorn). Prof. Małłek hatte bereits 1982 in seinem Bericht „Das Herzogtum Preußen und die Reformation in Polen“ enge Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Reformation in Polen und in Preußen, dem ersten Flächenstaat, der die Reformation annahm. Dabei betonte Małłek die Unterschiede, die bim 16. Jahrhundert zwischen dem Herzogtum Preußen und dem Königlichen Preußen bestanden, das seit 1466 zu Polen gehörte. Zwar bestanden zwischen den beiden preußischen lutherischen Kirchen enge Kontakte, doch keine organisatorische Verbindung. Die im Herzogtum 1525 durch Herzog Albrecht von oben eingeführte Reformation wurde von der Bevölkerung angenommen, hier gab es viele deutschsprachige Bewohner. In der Folge gab es eine starke lutherische Mehrheit gegenüber den Calvinisten.1817 wurde von oben die Unionskirche gegründet. Das Herzogtum wurde schnell zum Asylland für evangelische Gruppierungen wie die Mennoniten oder die Böhmischen Brüder. Im Königlichen Preußen hatte das Luthertum keine so günstigen Bedingungen, eine Revolte mit sozial-religiösem Hintergrund wurde 1526 in Danzig niedergeschlagen. Die Lage dort verbesserte sich erst mit dem Regierungsbeginn von Sigismund August 1548.In den 1550er Jahren erhielten die großen preußischen Städte Religionsprivilegien, die kleinen Städte folgten bald. So entwickelte sich eine mehr oder minder tolerante Koexistenz, die Zahl der Lutheraner überwog in den Städten, die Landbevölkerung blieb katholisch.

Nach so viel Wissenschaft gestalteten Brigitta Nosek und Brigitte Jäger-Dabek den literarischen Abend mit Nachdenklichem, Satirischem und Lustigem.

Theatergruppe der Grundschule Krutyn, Foto: B.Jäger-Dabek

Theatergruppe der Grundschule Krutyn, Foto: B.Jäger-Dabek

Der dritte Seminartag gehörte – wie es schon Tradition ist – den beiden Theatergruppen der Grundschule Krutyń. Marya Grygos Theatergruppe I führte in deutscher Sprache die Märchen Aschenputtel und Rotkäppchen auf. Ewa Dulnas Theatergruppe 2 Führte „Opfer der Wehmut“ und „Bestrafte Habgier“ in polnischer Sprache auf.