Einwanderungsland Ostpreußen: Aus aller Herren Länder

Empfang der Salzburger Protestanten durch König Friedrich Wilhelm I. in Berlin, Gemälde C.J.F. Cretius, CC-PD

Ostpreußens Eingeborene waren die westbaltischen Pruzzen. Nach der Eroberung ihrer Territorien durch den Deutschen Orden brauchte der entstehende Ordensstaat ein Staatsvolk.

Da man das rebellische Pruzzenvolk schwerlich ganz ausrotten konnte, strebte der Orden eine Vermischung der eingeborenen Pruzzen mit zugewanderten Christen an. Die Klammer um das so entstehende Völkergemisch sollte also nicht ethnischer Natur sondern würde der Glaube sein.

Es folgte die erste große Kolonisation, die energisch betrieben wurde, wobei systematisch pruzzische Siedlungsgebiete mit Kolonisten durchsetzt wurden, um die Vermischung zu beschleunigen. Bevorzugt wurde im Deutschen Reich, in Skandinavien und der Schweiz um Neusiedler geworben, aber auch Polen, Russen, Tschechen, Franzosen und getaufte Litauer kamen. So wurde das Gebiet des späteren Ostpreußen bereits vor 1300 zu einem der ersten großen Einwanderungsgebiete.

Die Pruzzen gingen allmählich auf in diesem neu entstehenden Volk. Das nun über die Jahrhunderte entstehende Volk war durch Erziehung deutsch geprägt, nicht durch Herkunft. Zum (Ost-)Preußen wurde man durch Anerkennung der Herrschaft und lange Zeit durch den Glauben, also aus eigenem Wollen und nicht durch Abstammung.

Nach den Schlachten des 15. Jahrhunderts wurden wiederum Menschen gebraucht, um die Verluste auszugleichen, die Tore standen offen, auch für Polen, Litauer, Russen. Auch Asylanten kamen, denn keiner, der sich im Ordensstaat niederlassen wollte, wurde an sein Heimatland ausgeliefert, die Freiheiten im Ordensstaat waren größer als anderswo.

Ostpreußen wurde nach dem Ende des Ordensstaates 1525 Zentrum des neu entstehenden Herzogtums Preußen, ein Einwanderungsland mit einem Bevölkerungsgemisch aus Pruzzen, Deutschen, Polen, Litauern, Franzosen, Niederländern, Schotten, Russen, Tschechen, und immer mehr ein Land großzügiger Religionsfreiheit für Lutheraner, Calvinisten, Katholiken, Hussiten, Methodisten, Hugenotten und später selbst für Juden – dann allerdings etwas weniger großzügig. Preußen damals war toleranter und fortschrittlicher als jedes andere bekannte Staatsgebilde unter der Sonne.

Als Friedrich III. sich 1701 selbst zum König in Preußen gekrönt hatte, forcierte er die Einwanderung nach Preußen, vor allem den französischen Hugenotten und den schweizerischen Calvinisten öffnete er das Land, denn sie waren durchweg gut ausgebildete Handwerker.

Durch die Pestwellen von 1709–1711 wurde die Hälfte der Ostpreußen dahingerafft. Mit seinem Retablissement betrieb Friedrich Wilhelm I. eine weitsichtige Einwanderungspolitik. Er warb Kolonisten durch Steuerfreiheiten für die erste und zweite Generation, geregelte Landvergabe und allerlei sonstige Anreize an. Holländer, Franzosen, Pfälzer, Nassauer und Schweizer kamen neu ins Land.

1723 gründete er zur weiteren Erhöhung der Einwandererzahlen die litauische Deputation, die vor allem in Litauen und Polen Siedler anwarb. 1732 holte er auf einen Schlag 15.000 protestantische Salzburger ins Land, denen er Land und die freie Religionsausübung zugesichert hatte. So hinterließ er seinem Sohn Friedrich II. bei seinem Tode 1740 ein blühendes Ostpreußen, es lebten wieder gut 600.000 Menschen im Lande, ein Vielvölkergemisch, das zu fast einem Viertel aus Jungemigranten bestand.

Mit der ersten polnischen Teilung 1772 kam das Ermland an Preußen. Von nun an gab es in Ostpreußen eine fast rein katholische Enklave im ansonsten fast vollständig gemischt-protestantischen Ostpreußen. Die großen Einwanderungsströme versiegten, denn zum Ende der Regierungszeit Friedrichs II. tat sich eine Alternative auf, die USA erklärten ihre Unabhängigkeit und verhießen Einwanderern mehr als nur Religionsfreiheit.

Im Völkergemisch Ostpreußens wurde zur größten Integrationskraft die preußische Staatsidee, die ja nicht auf einem Staatsvolk gleicher regionaler oder stammesgeschichtlicher Identität beruhte, sondern auf der Loyalität der Bürger Herrscherhaus und Staat gegenüber.

Deutsch wurde Amts- und Verkehrssprache, die jeweilige Umgangssprache jedoch richtete sich nach der eigenen Umgebung, bis in unser Jahrhundert hielten sich so noch Litauisch und Polnisch in den Dialekten Masurisch und Po Naszamu im südlichen Ermlnad neben dem Deutschen. Ob man der betreffenden Volksgruppe selbst angehörte, spielte dabei nicht immer eine Rolle, man passte sich ohne Vorbehalte seiner Umgebung an.

Die Probleme kamen erst mit der Gründung des deutschen Nationalstaates, als es nicht mehr genügte, ein loyaler preußischer Bürger zu sein, nun musste man deutsch sein, oder man wurde unversehens Angehöriger einer ausgegrenzten, später auch verfolgten Minderheit.

Bald war nichts mehr zu spüren von der großzügigen Toleranz, die dieses Land einmal ausgezeichnet hatte. Schon im Bismarckschen Kulturkampf wurde die veränderte Lage deutlich.

Der verlorene Erste Weltkrieg, die Prozedur der Volksabstimmungen mit den vorhergehenden Volkstumskämpfen polarisierte stärker, wechselseitige nationale Begehrlichkeiten erweckten Hassgefühle, als Ostpreußen nur noch deutsch sein wollte, führte der Weg geradewegs in den Nationalsozialismus und in seiner Folge direkt in den Untergang.