Ermland-Masuren: Was wird aus dem „Kleinen Grenzverkehr“ mit Kaliningrad?

Russisch-polnische Grenze bei Bagrationowsk/Bezledy, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Russisch-polnische Grenze bei Bagrationowsk/Bezledy, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Sicherheitsbedenken der Regierung

Seit fast einem Jahr ist nun der kleine Grenzverkehr zwischen der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren und dem russischen Kaliningrader Gebiet (Könisgberger Gebiet) unterbrochen. Und es sieht so aus, als ob sich das so schnell nicht ändern wird. Trotz vieler Appelle von Bewohnern, Händlern, Wirtschaftsorganisationen und fast aller betroffenen lokalen Selbstverwaltungen kommt keine Bewegung in die Angelegenheit.

Der kleine Grenzverkehr wurde Anfang Juli vergangenen Jahres wegen des anstehenden NATO-Gipfels in Warschau und des kurz darauffolgenden Weltjugendtags der katholischen Kirche in Krakau „aus Sicherheitsgründen“ ausgesetzt.

Inzwischen wurde das polnische Ministerium für Inneres und Verwaltung von Nachfragen von lokalen Selbstverwaltungsorganen geradezu bombardiert. Begründet wurde die weitere Aussetzung des kleinen Grenzverkehrs mit der Gefahr der Destabilisierung Polens und von russischen Vergeltungsaktionen.

Politik auf Kosten der Grenzregionen

Der PO-Parlamentsabgeordnete und Ex-Woiwodschaftsmarschall Jacek Protas erklärte, die Außenpolitik der PiS-Regierung gegenüber Russland werde auf Kosten der Grenzstädte und Grenzbezirke Ermland-Masurens und Pommerns durchgeführt. Im April forderte der Abgeordnete vom Vizepremier und polnischen Finanzminister Mateusz Morawiecki einen genauen Bericht des Finanzministeriums über die finanziellen Nachteile für die Woiwodschaft an, die durch die Aussetzung der Handelserleichterungen durch den kleinen Grenzverkehr. Das könne ein wichtiges Argument in der Debatte über die Wiedereinführung des kleinen Grenzverkehrs sein, erklärte Protas den Medien gegenüber. Bisher muss man sich etwaige Zahlen von verschiedenen Stellen zusammensuchen.

Auf die Wiedereinsetzung des Abkommens warten auch sehnsüchtig die im Verein EGO Storchenland  (EGO Kraina Bociana)  zusammengeschlossenen Gemeinden. In der Debatte über die Wiedereinführung des Grenzverkehrs existieren auch wichtige soziale und kulturelle Aspekte sowie die Effizienz der in die Region fließenden Mittel aus dem von der EU kofinanzierten Programm Polen-Russland. Finanzmittel aus dem insgesamt mehr als 60 Mio. Euro betragenen Topf können von den Kommunen unter anderem dafür verwendet werden, um die lokale Kultur, den Denkmalschutz, den Umwelt- und Klimaschutz, die Verbesserung der Verkehrsanbindung und die Unterstützung für die Grenzverwaltung und Sicherheit an den Grenzen zu fördern. Derzeit sind die Mittel eingefroren.

Debatten um dieses Programm-Polen-Russland verschwanden von der Tagesordnung der Regierungssitzungen, erklärte Protas. Jede Woche der Verzögerung würden der Region so Millionen von Euro entgehen, dazu würde die Region viele Investitionen verlieren.

Die Position des Innenministeriums habe ihn nicht überzeugt – sagt Arkadiusz Mroczkowski, Stadtratsvorsitzender von Malbork. Die Antwort auf seine Fragen an den Innenminister müsse als ein Eingeständnis der PiS gewertet werden, dass die Aussetzung des kleinen Grenzverkehrs mit Russland politisch begründet ist.

Nach Ansicht des Innenministeriums verliert Polen nämlich kaum durch die Aussetzung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Hingewiesen wird auf Daten aus dem Statistischen Hauptamt, dem Zoll und vom Grenzschutz (Teil der untenstehenden Daten). Sie sollen zeigen, dass der durch die Aussetzung des kleinen Grenzverkehrs bedingte Rückgang der Käufe durch Russen in Polen sich auf nur 22 Prozent belief. Der Rückgang durch Käufe von Polen in Russland hingegen belaufe sich auf mehr als 83 Prozent.

Für das Innenministerium ist es unvernünftig, die negativen Folgen der Aussetzung des kleinen Grenzverkehrs auf den Umsatz von Unternehmen und Handelspunkte zu reduzieren. Diese relative Abnahme der Einnahmen aus Dienstleistungen an und Käufe von Russen sei vollständig durch die Nachfrage von inländischen Touristen und von aus anderen Ländern nach Pommern und Ermland-Masuren kommenden Reisenden ersetzt worden.

Das aber ist eine Milchmädchenrechnung, denn diese inländischen und ausländischen Touristen kamen nicht, weil der kleine Grenzverkehr mit Russland ausgesetzt wurde. Sie wären in jedem Fall gekommen.

Die Bedeutung des kleinen Grenzverkehrs in Zahlen:

Im Jahr 2015 und dem ersten Quartal 2016 passierten rund 4 Millionen Polen die russische Grenze, die meisten von ihnen, nämlich 3,7 Millionen, taten das im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs.  Der Hauptzweck der Reise war der Kauf von Verbrauchsgütern wie Treibstoff, Alkohol und Tabak. Das Innenministerium schätzt, dass, wenn diese Polen genau diese Produkte in Polen gekauft hätten, dem polnischen Staatshaushalt dadurch etwa 74 Mio. PLN zugeflossen wären.

Im gleichen Zeitraum reisten 3,3 Millionen Ausländer nach Polen, von denen 1,5 Millionen auf der Basis der Regelungen zum kleinen Grenzverkehr einreisten. Die Russen kauften in Polen vor allem Lebensmittel, alkoholfreie Getränke, Bekleidung und Schuhe, Möbel und andere Non-Food-Waren wie Haushaltsgeräte und Elektronik.

Russen insgesamt gaben im oben angegebenen Zeitraum in Polen 688 Mio. PLN aus. Die Hälfte dieses Betrages – rund 340 PLN – stammt von russischen Bürgern, die im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs eingereist waren. Polnische Bürger insgesamt gaben in Russland 537 Millionen PLN aus, Polen die über den kleinen Grenzverkehr eingereist waren 481 Mio. PLN.

(Zahlen: Statistisches Hauptamt GUS, Zoll und Grenzschutz)