Reisereportage: Ermland und Masuren – Seen, Wälder und das einfache Leben

Perkunowo/Perkuhnen bei Lötzen/Gizycko, Foto: BjJäger-Dabek

Einst waren Ermland und Masuren Teile Ostpreußens und gehörte zum Deutschen Reich, bevor dieses Ostpreußen 1945 unterging, als die vom Dritten Reich ausgegangene Gewalt zurückkehrte. Flucht und Vertreibung, Neubesiedlung mit Menschen aus allen Regionen Polens, die oft selbst Vertriebene waren, jahrzehntelange Versuche die Geschichte umzuschreiben, dies war eine Region, in der sich alles Leid der deutsch – polnischen Geschichte konzentrierte. Das scheint jetzt endlich abgeschüttelt, man geht auf polnischer Seite offen mit der deutschen Vergangenheit des Landes um und hat und Deutschen die Hand weit zur Versöhnung entgegengestreckt.

Heute gehören das Ermland und Masuren zur Woiwodschaft Ermland-Masuren und die beiden Landstriche wachsen immer mehr zu einer Region mit gemeinsamer Identität zusammen und längst sagt man „Mazury“ und meint damit die ganze Woiwodschaft.

Masuren, dieses Wort lässt sofort Bilder in uns aufsteigen, Bilder aus einer anderen Zeit mit dunklen, weiten Urwäldern, kristallklaren Seen und vertrauten Dörfern. Masuren dieses Land von dem die rundliche Oma aus dem Nachbarhaus in ihrem breiten, gemütlichen Ostpreußisch so schwärmte, gibt es immer noch, nur ist es jetzt eben polnisch und heißt Mazury. Und es ist genau wie die Nachbarsoma, rundlich und gemütlich, als ob die Zeit stehen geblieben wäre.

Vor allem dieses Masuren will ich in diesem Urlaub suchen und nicht den Trubel an den Großen Seen und der Wolfschanze. Wo Masuren liegt? In Nordostpolen, eine genaue geopolitische Grenze hat es nie gegeben, man zählt heute das ganze Gebiet von Ostroda  bis hin an die polnische Ostgrenze und von Nidzica aus nördlich bis an die Ostsee großzügig dazu. Dabei hat man das Ermland (Warmia) und die Urwälder um Suwalki und Augustow an der Ostgrenze Polens kurzerhand dazugeschlagen. Die Regionen haben nichts dagegen – es wirbt sich so schön mit dem Namen Masuren.

Der Ostrpda-Elglag-Kanal/Oberlandkanal auf dem Schiffe über Land fahren, Foto: B.Jäger-Dabek

Fast ein Perpetuum mobile

Ostroda, das frühere Osterode gilt als Tor nach Masuren. An kulturhistorischen Attraktionen gibt die Stadt außer dem 1349 – 1370 vom Deutschen Orden erbauten Schloss und der 1330-1351 erbauten gotischen Pfarrkirche des Hl. Dominikus Savio  nicht so viel her, denn in den Wirren des Krieges Anfang 1945 hat die Stadt schwer gelitten.

Die malerisch um eine Bucht des Drwecko – Sees erbaute 35 000 – Einwohnerstadt lebt ganz von ihrer Lage inmitten von fünf wunderbaren Seen, was ihr den Namen Perle Masurens einbrachte. Und immer mehr lebt sie auch von dem, was die längst demokratisch gewählten Stadtväter aus ihr machen – kaum eine Kleinstadt in der Region verändert sich so schnell. Da gibt es mittlerweile schön bebaute neue Stadtviertel im 1945 so zerstörten Zentrum, einen wunderbaren Boulevard am Drewenzsee und eine hochmoderne Wasserskianlage, zwei 4-Sterne-Hotels sind in Betribe, ein 5-Sternehotel wird demnächst eröffnet. Die neuen Sportanlagen sind selten in einer Stadt dieser Größe gensu wie das überdachte Amphitheater am See mit Abendblick in den Sonnenuntergang über dem See.

Da bietet sich eine Fahrt mit einem Schiff der weißen Flotte geradezu an, die vom Anleger mitten in der Stadt starten. Eine Schiffstour kann man natürlich auch auf zig anderen masurischen Seen machen, aber diese hier ist etwas ganz besonderes.

Das sagen jedenfalls meine Gastgeber, die Freunde vom Verein der deutschen Minderheit in Ostroda, in deren Deutschem Haus in der ul. Herdera 7 ich eines der Gästezimmer inklusive liebevoller Rundumbetreuung bewohne. Die Plakate des Elblag – Ostroda – Kanals machen mich noch neugieriger, das muss ich gesehen haben.

Eine in Europa einmalige Attraktion ist dieser Wasserweg, der insgesamt 195 km lang ist, wovon aber nur etwa 48 km auf den Kanal selbst entfallen, die restliche Strecke führt durch Seen. Was für ein sonderbarer Wasserweg, eine Zeit lang  fährt das Schiff auf einem Kanal, mal durchquert es einen See, dann wird es geschleust und mehrfach führt die Route über Land. Das besondere diesem Kanal ist aber nicht das Wasser, Kanäle gibt es schließlich überall.

In gleichmäßigem, gemächlichem Tempo kommt der kleine weiße Ausflugsdampfer den Berg heraufgefahren, etwas ächzend, als ob es mühsam ist hinauf zu klettern. Unten, bis zum Rand der Steigung Wasser, oben, da wo die Steigung hinter der Kuppe flach ausläuft Wasser und dazwischen – Wiese. Erst wenn das Schiff ganz nahe ist, erkennt man den niedrigen Wagen auf dem es steht und das Drahtseil, von dem er gezogen wird. Fast gleichmütig selbstverständlich gleitet das Gefährt hinter der Kuppe ins Wasser, ein paar Meter nur und das Schiff schwimmt wieder. Der Maschinist wirft den Diesel an, die Leinen werden gelöst und ruhig tuckernd zieht das Schiff auf dem Kanal davon, als ob das alles das natürlichste auf Erden wäre.

Ein Wunderwerk der Technik, fast ein Perpetuum mobile – die auf Schienen laufenden Wagen ziehen hier die Schiffe auf schiefen Ebenen über Land und zwar ohne Elektrik, ohne Maschinenkraft, ausschließlich durch die Kraft des Wassers, ein überaus umweltfreundliches Prinzip.

Wozu das Ganze gebraucht wird? Der zwischen den beiden Endpunkten bestehende Höhenunterschied beträgt 104 m und musste irgendwie ausgeglichen werden, was durch dieses System von zwei Schleusen und fünf geneigten Ebenen erreicht wurde. Dieses europaweit einmalige technische Baudenkmal wurde Mitte des letzten Jahrhunderts vom Königsberger Baurat Steenke geplant und 1860 eröffnet.

Die Fahrt auf dem Kanal gleicht einer Reise in eine andere Welt, dreizehn Stunden dauert die Tour Ostroda – Elblag. Urwaldbesäumte Kanalufer rechts und links, längst von der Natur zurückerobert. Lautlos schließen sich die vom gelassen tuckernden Schiff durchteilten gelben Mummelfelder wieder. Malerische Seen mit verschwiegenen Buchten durchfahren wir, ganz selten nur menschliche Spuren, wenn der Blick sich weitet und die ursprüngliche Landschaft den Blick frei gibt auf ein von fetten, sattgrünen Wiesen umgebenes verschlafenes Dorf, oder wenn ein Segelboot entgegenkommt. Ein Paradies für Wasservögel aller Art, eine Fahrt zum Träumen durch ein verwunschenes Land.

Abends lädt dann die renovierte Uferpromenade am Drwecko -See (Drewenzsee) und der schöne neuen Seesteg mit Pavillon zum bummeln und verweilen auf den zahllosen Bänken ein. Hier spielt sich an den Sommerabenden das Leben ab, viel Live – Musik, Kleinkunstveranstaltungen- ein fast mediterranes Ambiente – die Polen verstehen den Sommer zu zelebrieren.

Blick von den Kernsdorfer Höhen/Dylewska Gora, Foto: B.Jäger-Dabek

Schlachtenland

Zwar ähnlich wald- und seenreich wie das masurische Kernland um die Großen Seen, gehört die Landschaft um Ostroda jedoch  zum baltischen Höhenrücken, der das ganze ehemalige Südostpreußen im Halbrund durchzieht.

Abwechslungsreich ist diese Gegend, es gibt fast ebenso viele, wenn auch kleinere Seen und die Wälder sind vielfältiger, oft Mischwälder mit hohem Laubbaumanteil, etliche wunderbare lichte Buchenmischwälder gibt es.

Schon Simon Grunau nannte dieses Land 1525 in seiner Chronik Höckerland, was soviel wie Hügelland bedeutet und genau das ist es auch, ein Hügelland. Hier finden wir auch Masurens mit 313 m höchste Erhebung, die Dylewska Gora (Kernsdorfer Höhen), ein Paradies zum Herumstreifen, durch richtige Täler, über bewaldete Kuppen und im Winter zum Skilaufen. Mitten im Urwald liegt verschwiegen der Jezioro Francuskie, der Fronzosensee. Seinen Namen erhielt er, als die Bauern aus der Umgebung Rache an den Franzosen nahmen für die Plünderungen, Brandschatzungen und Morde des Jahres 1807. Als die schwer geschlagene Napoleonische Grande Armee von den Russen bis hierher gejagt worden war, überfielen die Bewohner die Soldaten und warfen sie in diesen See.

Der Naturpark Dylewska Gora südöstlich von Ostroda ist meist menschenleer, gepflegte Wege, Rast- und Spielplätze sind umgeben von nahezu unberührter Natur und fast undurchdringlichen Urwäldern, absolut das richtige Ziel für Naturbegeisterte und Wanderer.

Von Wysoka Wies (Kernsdorf) aus kann man einen befestigten Weg bis fast ganz hinaufgehen, ja sogar fahren, denn auf der Höhe befindet sich eine Radiosendestation, in deren Nähe ein Parkplatz ist.

Der Ausblick von hier oben ist traumhaft und es ist so still, nur der Wind rauscht in den Bäumen, wiegt das Gras. Hier kann man zwischen flammendem Klatschmohn sitzend genießen, und schauen, schauen, Bilder des Friedens, der Ruhe in sich aufnehmen, verankern, für immer speichern.

Durch dieses immer noch ursprüngliche Land mit seinen dichten Wäldern quälte sich einst die Truppen des Deutschen Ordens über die Höhen und erreichte am 15. Juli 1410 die Gegend von Tannenberg, wo sie schon von den vereinigten polnisch – litauischen Heeren erwartet wurden. Es entbrannte die wohl größte Schlacht des Mittelalters, an deren Ende eine verheerende Niederlage des Ordens stand, dessen Vormachtstellung in der Region damit gebrochen war. Diese erste Schlacht bei Tannenberg wurde später zum polnischen Grunwald – Mythos hochstilisiert. Die Deutschen standen nicht nach, die zweite Schlacht von Tannenberg Ende August 1914, als die Russischen Truppen in Ostpreußen einmarschiert waren und von Hindenburg vernichtend geschlagen wurde, begründete die deutsche Variante des Tannenberg – Mythos.

Diese geschichtsträchtige Gegend beginnt gleich hinter der Dylewska Gora. In Grunwald können die Schlachtfelder der ersten Schlacht angesehen werden, im Museum ist der Verlauf der Schlacht dargestellt. Wer es ein wenig lebendiger liebt und das mittelalterliche Geschehen nacherleben möchte, sollte seine Reise auf Mitte Juli terminieren. In jedem Jahr findet zum Jahrestag der Schlacht eine Rieseninszenierung statt, die größten Ritterspiele Europas stellen mit Tausenden von Darstellern die Schlacht nach und auch am Rande wird allerlei mittelalterliches Treiben geboten.

Die Deutschen hatten in den 20-er Jahren auch ein Tannenbergehrenmal errichtet, gewaltig, riesig, nach der Beerdigung des Reichspräsidenten Hindenburg 1934 endgültig zum missbrauchten nationalen Wallfahrtsort gemacht. Kein Stein davon ist geblieben in Olstynek / Hohenstein, nur der Bogen vom Einfahrtstor an der Straße Ostroda – Olsztynek ist noch erkennbar. Man kann viel lernen über die deutsch – polnische Geschichte in dieser Gegend. Im Freichlichtmuseum Skansen bei Olsztynek erfährt man vor allem viel über das Leben der Menschen in dieser Region. Auf einer Fläche von 35 ha hat man über 40 Holzbauten errichtet, alles Gebäude aus der Region, die  uns die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Masuren und Ermländer in früheren Zeiten vor Augen zu führen.

Altes Rathaus Olsztyn, Foto: B.Jäger-Dabek

Olsztyn – Die regionale Metropole

Einen Abstecher in die Großstadt mache ich dann doch, denn in dieser Gegend, die auch das Land der Backsteinburgen ist, muss man natürlich auch eine Deutsch – Ordensburg gesehen haben.

Olsztyn / Allenstein ist die Hauptstadt der Wojewodschaft Warmia i Mazury und mit über 175.000 Einwohnern die quirlige, junge Metropole der Region. Sehenswert an Olsztyn ist die Altstadt, ein relativ kleines aber geschlossenes mittelalterliches Ensemble, das man bequem zu Fuß ablaufen kann.  Im Dom Gazety Olsztynskiej, dem Haus der 115 Jahre bestehenden polnischsprachigen Zeitung Gazeta Olsztynska , findet man interessante Ausstellungen zur Stadt- und Regionalgeschichte, und etliche Belege der leidvollen deutsch – polnischen Vergangenheit.

Nicht weit ist es zum Dom des Bistums Warmia / Ermland, der Kosciol Sw. Jakuba, einem eindrucksvollen gotischen Backsteinbau mit wuchtigem weithin sichtbaren Turm. Den alten Marktplatz, dessen Mitte das Alte Rathaus einnimmt umsteht eine Reihe schöner alter Bürgerhäuser mit Laubengängen. Doch der Schein trügt – alt ist hier wie in so vielen polnischen Städten so gut wie gar nichts, polnische Restauratorenkunst erst baute das Olsztyner Stadtzentrum, das im Frühjahr 1945 zerstört wurde, wieder auf.

Dominiert aber wird die Olsztyner Altstadt vom trutzigen Schloss, mit dessen Bau der Deutsche Orden 1348 begann. Aber halt – so kann man das eigentlich gar nicht einmal sagen, denn dominiert wird nicht nur die Altstadt, sondern ganz Olsztyn von einem hier allgegenwärtigen Namen: Kopernikus. Der große Astronom war als Dompropst und Administrator 1516-1519 und 1521 sowie 1524 im Olsztyner Schloss tätig. Die Kopernikusausstellung im Schlossmuseum sollte man nicht versäumen.

Hinterher ist eine Erholung fällig, denn die Sonne brennt wie oft in masurischen Sommern geradezu unbarmherzig vom Himmel, da bietet sich doch ein leckeres polnisches Eis auf dem Marktplatz an, auf dem ein geradezu südländisches Flair herrscht.

Als Quartier in Olsztyn habe ich mir das Hotel Omega, das einstige Novotel ausgesucht, ein relativ unscheinbares Hotel am Stadtrand, weit außerhalb des Zentrums. Das Hotel liegt aber direkt am Ukiel-See, man kann herrliche Abendspaziergänge machen und der direkte Seezugang nötigt geradezu ein Bad auf, am tollsten ist es, abends der untergehenden Sonne entgegen zu schwimmen.

Wallfahrtsort Swieta Lipka/Heiligelinde, Foto: B.Jäger-Dabek

Störche, Pilger und ein Wallfahrtsort

Es geht weiter Richtung Nordosten. Bevor ich jedoch ins Land der Großen  Masurischen Seen fahre, will ich noch einen Wallfahrtsort besuchen, denn an einem solchen Ort kann man viel erfahren über Polen und den Katholizismus, kann die erstaunliche Volksfrömmigkeit erleben, die mit einer Inbrunst gelebt wird, wie sonst allenfalls noch in Irland. Die Straße Nr. 16 führt von Olsztyn nach Reszel / Rößel, wo ich nach links auf eine kleine Landstraße abbiege. Wer noch eine Backstein – Burg sehen will, kann das übrigens in Reszel tun.

Unterwegs immer wieder masurische Weite und Einsamkeit, sobald man die Hauptstraße verlassen hat. Wie zu Großmutters Zeiten fährt man auf wunderbaren Alleen wie durch grüne, schattenspendende Tunnel, und überall Störche, Störche, Störche.

Masuren ist nämlich auch Storchenland, jeder zweite europäische Storch ist Pole und lebt im Sommer meist in Masuren. Da sieht man Storchennester auf vielen Häusern, selbst Schlössern, sogar auf Telegrafenmasten. Mit feierlichem Ernst ziehen meist gleich Dutzende von Störchen hinter Mähmaschinen her, einen reich gedeckten Tisch findend. Sie sind überhaupt nicht scheu, im Gegenteil, sie suchen die Nähe des Menschen und lassen sich durch Beobachter nicht stören. Viele Jungstörche sind jetzt im August schon flügge und trainieren eifrig für die bevorstehende große Reise nach Süden.

Nicht weit hinter Reszel dann die Überraschung mitten in unberührter Natur: eine barocke Perle im Land der wuchtigen Backsteingotik, die Wallfahrtskirche Swieta Lipka / Heilige Linde. Baubeginn war im Jahr 1687 mit dem Einrammen von 10 000 Erlenbäumen als Fundamentträger im sumpfigen Boden. Darauf errichtet wurde ein Kleinod atemberaubendem barocken Glanz. Highlight aber ist die 1721 entstandene Orgel, die mit Bässen, die den Boden dröhnen lassen, zarten Flöten und rauschendem Vollton einen unglaublichen Klangzauber bereitet. Diese klingende Prachtentfaltung wird optisch unterstützt von den tanzenden Figuren und sich drehenden Rädern der Orgel.

Heilige Linde ist an sich schon ein Erlebnis, aber jetzt an Mariä Himmelfahrt (15. August) liegt eine frohe, feierliche Inbrunst über dem Wallfahrtsort, Tausende folgen dicht gedrängt der Prozession um die Kirche, die einen Besuch auch für Nicht – Katholiken zum spirituellen Erlebnis werden lässt.

Die Krutynia, Europas schönste Paddeltour, Foto: B.Jäger-Dabek

Die Krutynia, das einfache Leben und der Abschied vom Sommer

Nach so viel Trubel geht es endgültig in die masurische Abgeschiedenheit nach Krutyn / Krutinnen, einem kleinen Dorf südlich von Mragowo um Krutinna – Fluß. Brigitta Nosek wartet im Hotel Habenda schon auf mich. Noch vor dem Abendessen ist ein Bad im Mokre – See fällig, was für eine Wohltat, kühles, kristallklares Wasser, umschmeichelt weich den Körper – unvergleichlich. Auf dem Rückweg träume ich mit genau der Muße, die dieses Masuren lehrt in den Fluss. Die Krutinna ist das vielleicht ursprünglichste Gewässer ganz Masurens und die beliebteste Paddelroute in ganz Polen.

Dem Alltag davon paddeln in einer Landschaft, die süchtig macht –  eine Kanutour auf der Krutynia (Krutinne) sollte man nicht beschreiben, man muss sie erleben. Und über allem immer wieder dieser Himmel, hoch weit und tiefblau mit hingehauchten, stetig ziehenden weißen Pustewolken – ach, was für ein Land!

Überwältigende Stille, Fischotter, Reihe, Kormorane, Seeadler und Störche kommen fast auf Tuchfühlung in diesem Fluss, dessen Wasser so klar ist, dass man die Kiesel auf dem Grund zählen kann, Fische beobachten kann und manchmal sogar Krebse sieht.

Hinter jeder Flussbiegung wartet eine neue Landschaft, durch weite Wiesenräume schlängelt sich die Krutynia vorbei an verschlafenen Dörfern hinein in verträumte Seen und weiter durch urwaldgleiche grüne Tunnel.

Die – wenn man den Polen glaubt – schönste Paddeltour Europas ist insgesamt gut hundert Kilometer lang und führt durch 16 Seen und zahlreiche Flussabschnitte, von denen der Teil auf der Krutynia der schönste ist.

Vom Lampacki – See bei Sorkwity in der Nähe von Mragowo ist startet die Krutyniatour, die durch einige kleine Seen und romantische Flussabschnitte führt . Bei Krutyn geht sie durch den Mokre – See mit seinen vielen kleinen Inseln, verläuft weiter durch den Krutynskie – See und erreicht dort den eigentlichen Krutynialauf. Vorbei am idyllischen Wojnowo und dem Philliponenkloster der russischen Altgläubigen mit seiner schönen Ikonensammlung paddelt man dann in den Gardynskie – See und endlich durch einen der schönsten masurischen Seen, den Beldany bis Ruciane – Nida. Zehn Tage dauert die gesamte Tour, man kann natürlich auch nur einzelne Abschnitte absolvieren. Ein Kajak kann man gleich in der Pension mieten und wird dann am verabredeten Punkt mit dem Auto wieder abgeholt. Brigitte Nosek, diese wandelnde masurische Enzyklopädie berät, zeigt auf der Karte die schönsten Ecken und erzählt, was man sich ansehen sollte.

Vor allem wenn man in Krutyn wohnt, bietet sich ein Extra an, dort kann man sich auf dem Fluss staken lassen, was an sich schon ein Erlebnis ist, vor allem morgens, wenn die Touristenbusse noch nicht da sind. Zum Hochgenuss wird es als Fahrt in die Dunkelheit hinein, „Krutinnaleuchten“ wird die Lampionbootsfahrt genannt, die Abendruhe über dem Fluss ist überwältigend.

Nicht nur paddelnd kann man sich auf die so wohltuende Langsamkeit und Stille dieses Landes einlassen, Radtouren in die Umgebung bieten sich an, in die Puszcza Piska / Johannisburger Heide in den Mazurski Park Krajobrazowy / Masurischen  Landschaftspark oder nach Iznota und weiter nach Galindia ins Mazurski Eden einem märchenhaften Hotel –  oder sollte man es lieber Freilichtmuseum oder Freiluftgalerie nennen – indem das Besitzer- und Künstlerehepaar Kubacki die Zeiten der Galinder, der pruzzischen Ureinwohner der Region wieder lebendig werden lassen.

Und natürlich, nach Pierslawek / Kleinort fahre ich und besuche das Forthaus in dem Ernst Wiechert 1897 geboren wurde. Er war der Schriftsteller dieser Region Masurens, mit seinen Jeromin – Kindern, Wäldern und Menschen setzte er seiner Heimat ein Denkmal, das „Einfache Leben“ in seinem Sinne, zumindest der kleine Ausstieg auf Zeit im Urlaub ist es, den viele Menschen auch heute hier suchen.

Abends gibt es dann noch ein Lagerfeuer mit Gesang und Gesprächen, auf die Brigitta Nosek, eine quirlige Achtzigjährige und Seele des familiären Hotels, sich immer noch so freut, weil da doch immer so interessante Menschen versammelt seien. Dabei macht Sie diese Abende, die bei schlechtem Wetter drinnen stattfinde, zum Erlebnis. Sie ist eine Masurin, eine echte Masurin, kaum jemand versteht es, Geschichten so lebendig in dieser Mundart zu erzählen. Ja, Geschichten erzählen ist eine masurische Tradition, ganz wie Siegfried Lenz das in seinem Buch „So zärtlich war Suleyken“ schreibt.

Mit einem Tagesausflug von Krutyn gut zu erreichen sind die touristischen Hauptorte an den Großen Seen. Nur 30km nördlich liegt Mikolajki / Nikolaiken, das „Masurische Venedig“, malerisch wie mit leichter Hand an die Seeenge zwischen dem Sniardwy / Spirdingsee und dem Talty–See / Talter Gewässer geworfen. Seine Brücken, zahlreiche Anleger und Stege und das viele Wasser gaben diesem schönsten Ort Masurens dieses Prädikat. Hier tobt das Leben, zu den 4500 Einwohnern kommt im Sommer noch einmal mindestens die gleiche Zahl an Touristen dazu. Die Sanierung des Zentrums ist weit fortgeschritten, viele kleine Läden, Bistros, Restaurants und Stände buhlen um das Geld der Touristen, die den Lebenstakt des Badeortes bestimmen. Mikolajki ist – wieder – hübsch geworden und bringt ein wenig Italien – Feeling über.

Gyzicko / Lötzen, noch ein Stück weiter nördlich  ist mit seinen 32 000 Einwohnern schon mehr Stadt als Badeort, aber was für eine Lage! Nichts als Wasser rundum, Gyzicko liegt auf einer Landenge zwischen dem Niegocin – See und dem Kissain – See. Den besten Überblick hat man vom frisch restaurierten Wasserturm aus, auf dessen Aussichtsplattform man mit dem Fahrstuhl gelangen kann. Empfohlen aber sei der Aufstieg zu Fuß, kann man doch dabei das kleine Museum ansehen, dessen Exponate sich an den Wänden befinden. Diese größte Stadt an den Großen Masurischen Seen bietet Wassersportmöglichkeiten ohne Ende, in sauberem Wasser, denn es gibt weit und breit keine Industrie, die das Wasser verschmutzen könnte. Kulturhistorisch hat Gyzicko nicht viel zu bieten, die Schinkelkirche im Zentrum, einen Flügel der Ordensburg aus dem 14. Jahrhundert und die Feste Boyen auf der Enge zwischen den Seen sind eigentlich alles. Trotzdem, in Gyzicko ist den ganzen Sommer über immer irgend etwas los, ein Festival jagt das andere, eine Veranstaltung die folgende, für jeden ist etwas dabei.

Beide Orte eignen sich für Reisende, die sommerlichen Badebetrieb schätzen auch ausgezeichnet als Standquartier, sowohl per Schiff als auch auf dem Landweg sind alle interessanten Ziele Masurens leicht zu erreichen. Das herrliche an Masuren ist, dass man trotzdem auf beschauliche Landpartien zu Fuß oder per Fahrrad nicht verzichten muss, denn kaum zehn Kilometer hinter den Touristenhochburgen ist man allein mit der Natur und genießt die Weite eines Landes das nicht nur Zeit, sondern auch Platz hat.

Dann plötzlich nach all der Hitze – drei Wochen mit dreißig Grad und mehr – ein heftiges Gewitter. Es ist Ende August und mit dem Gewitter ging auch der Hochsommer, es wird merklich kühler, vor allem nachts.

Am nächsten Morgen höre ich Einheimische auf polnisch sagen: sie sind weg.

Tatsächlich, die Störche, die mich die ganze Reise über begleitet haben, sind nach Süden gestartet. Auch für mich wird es Zeit, das einfache Leben und mein masurisches Sommerparadies zu verlassen.

Meine Empfehlung: Hotels in Masuren für jeden Geldbeutel