Vorgestellt: Henryk Hoch, Vorsitzender der deutschen Minderheit in Ermland-Masuren

Henryk Hoch, Foto: B.Jäger-Dabek

„Wenn mir das einer vor zweieinhalb Jahrzehnten gesagt hätte, den hätte ich gefragt, ob er Fieber hat,“ sagt Henryk Hoch lächelnd, “ein Deutscher hier in Ostróda im Stadtrat und dann auch noch Rats-Vorsitzender, das war doch zu kommunistischer Zeit vollkommen undenkbar!“ Doch im  Jahr 2013 ist das längst zur Selbstverständlichkeit geworden in Ostróda, einer Kleinstadt im ehemaligen Ostpreußen, in der wachsende Wirtschaftskraft und zunehmende Sicherheit was die Perspektiven des Einzelnen betrifft an jeder Ecke sichtbar sind.

Und in Ostróda ist etwas erreicht worden, zeigt Henryk Hoch stolz beim Stadtrundgang. Ein neues Stadtbad, eine Kanurennstrecke, ein toller neuer Sportkomplex mit Tennisplätzen, Kletterwand und einem supermodernen Stadion, eine Wasserskianlage an der ebenfalls komplett neu angelegten Promenade am Drewenzsee (jezioro Drwęckie) mitten in der Stadt, eine Seebrücke, die neue Fontäne mit Wasser- und Lichtspiel und das überdachte Amphitheater mit dem Seeblick. Nicht nur das aber hat das Gesicht der Stadt aufpoliert, ganze brachliegende Stadtviertel im Innenstadtbereich wurden neu bebaut und revitalisiert, dazu entstand eine ganze Reihe neuer Hotels im Drei- bis Fünfsternebereich in der Stadt. So ist Ostróda heute fit für vielfältigste touristische Ansprüche, viel wurde auch für die Infrastruktur getan.

Der 1950 geborene deutschstämmige Kommunalpolitiker der derzeitigen Regierungspartei PO gehört zur ersten Nachkriegsgeneration und ist glücklich über diesen Wandel für alle Bürger Polens. Besonders viel habe sich für die für die Deutschstämmigen im alten Ostpreußen und die anderen ethnischen und nationalen Minderheiten seit der politischen Wende geändert, meint Hoch. Dazu waren regelrechte Umwälzungen in den Köpfen der Menschen nötig. Der Bevölkerungsaustausch nach Kriegsende war in dieser Gegend Ostpreußens  fast komplett, die polnischen Neubürger waren ihrerseits überwiegend Vertriebene aus den polnischen Ostgebieten, die an die Sowjetunion fielen. Wiedergewonnene Gebiete lautete das Schlagwort, die Neuankömmlinge sahen sich urpolnisches Land in Besitz nehmen und fühlten sich als Pioniere der Repolonisierung. Generationen wurden bis 1989 in diesem Sinne erzogen und brauchten nach der Wende Zeit zum Umlernen, nur zögernd setzte sich im Bewusstsein fest, dass ihre Heimat eine deutsche Vergangenheit hat und gar kein polnisches Siedlungsgebiet war.

„ Es war nicht einfach früher, vor allem für meine Eltern, die Mutter konnte zu Anfang gar kein Polnisch und jahrelang durfte man doch kein Deutsch sprechen. Fast alle Verwandten und Bekannten sind vertrieben worden, bloß wir nicht“ erklärt Henryk Hoch. „ Später haben die Eltern mehr als ein Dutzend Ausreiseanträge haben sie gestellt, aber man hat uns nicht herausgelassen. Na ja, und so haben seine Eltern sich halt eingerichtet, was war zu machen“ sagt er achselzuckend.

Seit 1996 ist Henryk Hoch Vorsitzender des Vereins der deutschen Minderheit in Ostróda und jeder seiner Wähler wusste 1998 um diese Herkunft und Position, als er 1998 erstmals in den Stadtrat gewählt wurde. Rund 1000 Mitglieder hat der Verein, bei der Einwohnerzahl von gut 35 000 für die Stadt ist er der drittgrößte deutsche Verein in der das ganze ehemalige südliche Ostpreußen umfassenden Wojewodschaft Ermland–Masuren. Im Jahr 1993 wurde dann der „Verband der Vereinigungen deutscher Bevölkerung im Ehemaligen Ostpreußen“ gegründet, deren Vorsitzender Henryk Hoch seit 2004 ist. Im Volksmund wird die 2009 in „Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren“(VDGEM) umbenannte Organisation nur kurz „Dachverband“ genannt. Diese Bezeichnung findet Henryk geografisch präziser und auch für Polen leichter nachvollziehbar. Auch hält er für nicht ungeschickt, den Dachverband räumlich mit den politischen Grenzen der Woiwodschaft – die bei Gründung des Verbandes in den heutigen Grenzen weder bestand noch absehbar war – in Übereinstimmung zu bringen.

“Die Leute haben damals ganz schön geguckt hier, als nach dem Minderheitenstatut der Verein 1991 gegründet wurde. Sogar der einstige polnische Primas Kardinal Józef Glemp hatte doch gesagt, dass es uns Deutsche hier gar nicht gibt und dann traten so viele in die Vereine ein. Da dachten manche Polen, dass die alle nur wegen des erhofften Geldes eingetreten waren und gar keine richtigen Deutschen sind. Aber heute haben sie sich an uns gewöhnt und wissen auch besser über die Geschichte Bescheid“ meint Hoch ganz hoffnungsvoll.

Der Verein selbst hat es sich zum Ziel gesetzt am Frieden in den Köpfen mitzuarbeiten und die Kultur und Geschichte der nun gemeinsamen Heimat zu vermitteln. Das vereinseigene Haus wird immer mehr zu einer Begegnungsstätte der Nationen, der alten und neuen Bürger der Stadt, zu einem Informationszentrum für Touristen. Eine repräsentative Villa ist das Deutsche Haus, mit Raum für alle Vereinsaktivitäten, von geselligen Zusammenkünften von Chorproben, Handarbeitsstunden, die Unterbringung von Bibliothek und Kleiderkammer bis hin zum Deutschunterricht.

Bei einem derart gepflegten Anwesen kommt unweigerlich die Frage nach dem Neidfaktor auf. Das wäre vorbei meinen die Mitglieder einhellig, früher, in der wirtschaftlich schlechten Zeit und während des Kriegsrechtes sei es ja anders gewesen, da habe man ihnen jedes Paket aus dem Westen geneidet. Im Übrigen könne ja jeder ins Deutsche Haus kommen und Deutsch lernen, das Angebot gelte für Polen wie für Deutschstämmige, es habe auch noch keiner etwas kaputt gemacht am Haus wird vielstimmig versichert.

Bleibt noch eine heikle Frage im Zusammenleben, der Doppelpass, die Doppelstaatsbürgerschaft, die es von Rechts wegen noch immer weder in Deutschland noch in Polen gibt. Es ist im ehemaligen Ostpreußen nicht wie in der Oppelner Gegend, wo es noch größere deutsche Bevölkerungsgruppen gibt und sogar Dörfer mit überwiegend deutschstämmiger Bevölkerung. So kann man im einstigen südlichen Ostpreußen auch keine Politik mit eigener Wahlliste der deutschen Minderheit machen, wie in Oberschlesien, zu zersiedelt leben die Deutschstämmigen hier..

Hier ist oft nur ein Familienmitglied deutschstämmig,  und konnte beim Danziger Konsulat der Bundesrepublik den deutschen Pass beantragen. Doch hat in Ermland und Masuren ein nicht unerheblicher Teil der Vereinsmitglieder gar keinen zweiten Pass. Seit Polen EU-Mitglied ist und die Arbeitnehmerfreizügigkeit erreicht ist, hat die Bedeutung des deutschen Passes vor allem bei jungen Deutschstämmigen  abgenommen.

Viel Illusionen hat es unter den Deutschen in Ostróda nicht gegeben, sie wussten sich vom „Vaterland“ eher seufzend als begeistert an die Brust gedrückt. „ Für die bleiben wir Pollacken und hier waren wir die Hitlerowcy, wir sind den einen nicht ganz recht und den anderen auch nicht“ hört man hier allenthalben.

Natürlich gab der deutsche Pass seinen Inhabern vor allem die Möglichkeit legal in Deutschland zu arbeiten, als das mit dem polnischen Pass noch nicht möglich war. Sie entlasteten dadurch obendrein den heimischen Arbeitsmarkt und brachten Geld in ihre Heimatorte. Mit dem Neid ist es auch hierbei nicht mehr weit her, denn nun ist es egal ob ein Arbeitssuchender in Deutschland einen deutschen oder einen polnischen Pass hat.

Erst ein genauer Vergleich überzeugte seinerzeit Henryk Hoch davon, dass sein Pass kein Dokument zweiter Klasse war, er hatte immer angenommen, mit seinem hätte er nicht die vollen Rechte eines deutschen Staatsbürgers. Bei der Bundestagswahl hatten Menschen mit einem deutschen Passe erstmals das Recht mit zu wählen, auch wenn sie in Polen leben. „Das ist schön und wichtig, vor allem als Geste uns Deutschen in Polen gegenüber, aber noch wichtiger ist für uns das, was hier in Polen passiert und was wir selbst dazu beitragen können, dass Polen und Deutsche einander gute Nachbarn sind und die leidvolle Geschichte überwinden.“

Nein, eine emotionale Bewegung hätte ihm die Erteilung des deutschen Passes, nicht verursacht, eher ein kleines Stückchen Sicherheit, eine Perspektive ja Alternative falls Menschen wie er wieder einmal zwischen alle Stühle der Geschichte geraten, wofür der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński immer wieder mal sorgen möchte.