Polen hat das Rad entdeckt. Überall im Land werden neue Trassen für Freizeitradler geplant. So soll in den kommenden Jahren ein 1.300 Kilometer langer Radweg entlang der Wisła (Weichsel) fertiggestellt werden. Mit Hochdruck wird derzeit am Radwanderweg Green Velo gebaut. Dieser führt auf fast 2.000 Kilometer Länge durch fünf ostpolnische Woiwodschaften. Bereits im kommenden Jahr soll er für Touristen befahrbar sein. Das „Green“ im Namen der spektakulären Trasse ist dabei Programm. Radtouristen erleben unberührte Naturlandschaften mit fünf Nationalparks und zahlreichen anderen Schutzgebieten in der dünn besiedelten Region am Ostrand der EU. Bei der Gestaltung von Trasse und Infrastruktur orientieren sich die Planer an bewährten europäischen Standards, wie dem System „Bett & Bike“ des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC.
Aktivtourismus im Einklang mit der Natur, so lautet der Grundgedanke des Projektes, dessen Umsetzungsphase erst im vergangenen Jahr begonnen hat. Green Velo setzt vor allem auf die vielfältigen Naturlandschaften des dünn besiedelten polnischen Ostens. Sie sind das größte Kapital der fünf beteiligten Woiwodschaften. Die Strecke beginnt bei Sielpia in der Woiwodschaft Świętokrzyskie (Heiligkreuz) und führt über Podkarpackie (Karpatenvorland), Lubelskie (Lubliner Land) sowie Podlaskie (Podlachien) bis zum Frischen Haff in der Woiwodschaft Warmińsko-Mazurskie (Ermland-Masuren).
Auf insgesamt 1.980 Kilometern passiert die Trasse fünf National- und 15 Landschaftsparks sowie 62 weitere Tier- und Naturschutzgebiete, aber auch wichtige geologische Formationen. Allein vier Nationalparks liegen entlang der 590 Kilometer langen Strecke durch die Woiwodschaft Podlaskie. Dazu gehören der Białowieski-Urwald, Heimat der größten frei lebenden Herde von Wisenten und der Biebrza-Nationalpark, eines der größten Vogelschutzgebiete Polens. Waldgebiete machen insgesamt rund ein Drittel der Gesamtlänge des Radwanderweges aus, neun Prozent verlaufen durch Flusstäler.
Der ostpolnische Radwanderweg erschließt nicht nur atemberaubende Landschaften, wie die Georeservate in Polens ältestem Gebirge, den Góry Świętokrzyskie (Heiligkreuzgebirge), oder die Großen Masurischen Seen im Norden. Green Velo ist auch eine Reise durch Geschichte und Gegenwart der multiethnischen und -religiösen Grenzregion zur Ukraine, zu Belarus, Litauen und dem Kaliningrader Gebiet. Entlang der Strecke liegen wichtige touristische Orte wie die Renaissanceperlen Sandomierz und Zamość, das multiethnische Białystok oder die Kopernikusstadt Frombork (Frauenburg). Auch prachtvolle Adelsresidenzen wie Krasiczyn und Łańcut, die zum UNESCO-Welterbe gehörenden orthodoxen Holzkirchen der Karpatenregion, die Synagogen in Włodkowo oder Tykocin sowie Polens bekanntestes Arabergestüt in Janów Podlaski lohnen einen Abstecher.
Bereits im Sommer 2015 sollen die ersten längeren Abschnitte des Green Velo eröffnet werden. Dazu gehört die rund 350 Kilometer lange Strecke durch das Lubliner Land. Bis Jahresende soll die gesamte Trasse mit Wegweisern versehen sein. Die Bauarbeiten für den Green Velo sollen ebenfalls Ende 2015 abgeschlossen werden. Allerdings räumt die Projektleitung ein, dass es im masurischen Abschnitt noch zu Verzögerungen kommen kann. Doch spätestens bis zum Sommer 2016 sollen auch diese Abschnitte für Radfahrer verfügbar sein. Neben der Ausschilderung der Trasse und dem Neubau von Radwegen werden über 130 Kreuzungen und über 80 Brückenbauwerke neu errichtet oder umgebaut, um Radtouristen ein sicheres und komfortables Fahren zu ermöglichen.
Von den 1.980 Kilometern des Green Velo werden knapp 400 Kilometer neu gebaut. Diese führen zum Teil parallel zu Straßen, in einigen Abschnitten auch über stillgelegte Bahndämme oder Uferbefestigungen. Weiter rund 100 Kilometer führen über erneuerte Rad- oder Fußwege, die ebenfalls frei von Autos sind. Etwa 360 Kilometer sollen über unbefestigte Straßen führen, die kaum befahren sind und zum Teil im Rahmen des Projekts erneuert werden. Die übrigen Abschnitte des Green Velo werden über gering befahrene Asphaltstraßen führen. Die Organisatoren betonen, dass der Radweg in den folgenden Jahren noch weiter ausgebaut werden soll. Das Kennzeichnungssystem sei offen für weitere Anschlüsse. So denkt man an eine Verbindung von Biłgoraj im Lubliner Land in Richtung Sandomierz für alle, die die bergigen Abschnitte in Podkarpackie umfahren möchten. Ein Anschluss von Lublin an das Radwegenetz steht auf der Prioritätenliste weit oben. Auch die entstehende Schleife um die Großen Masurischen Seen soll mit dem Green Velo verknüpft werden.
Die Mehrzahl der über 220 Rastplätze soll ebenfalls bis Jahresende fertiggestellt sein. Vorgesehen ist alle 15 bis 30 Kilometer ein Platz mit Zugang zu sanitären Anlagen, Gastronomie und Fahrradserviceeinrichtungen. Zudem sollen mindestens alle 50 Kilometer Übernachtungsmöglichkeiten und alle 150 Kilometer ein integrierter Rastplatz mit Umsteigemöglichkeiten zu anderen Verkehrsmitteln zur Verfügung stehen. Hierbei haben sich die Planer das vom deutschen Radclub ADFC in den 1990er Jahren erfolgreich eingeführte System Bett & Bike zum Vorbild genommen. Rund 300 bestehende Objekte sollen vom projekteigenen Audit zertifiziert werden. Die Liste umfasst Übernachtungsmöglichkeiten, aber auch Restaurants, Sehenswürdigkeiten und andere Einrichtungen. Wichtigstes Kriterium bei der Bewertung sind sichere Aufbewahrungsmöglichkeiten für die Fahrräder. Empfohlene Unterkünfte müssen zudem die Möglichkeit für Kurzzeitübernachtungen sowie Reparaturmöglichkeiten bieten. Offizielle Verleihpunkte sind im Rahmen des Projektes derzeit weder für herkömmliche Drahtesel noch für moderne E-Bikes vorgesehen. Die Projektverantwortlichen setzen hier auf die Initiative privater Unternehmen vor Ort. Entsprechende Angebote sollen in den Kartenmaterialien aufgeführt werden.
Der gesamte Investitionswert des Green Velo beträgt umgerechnet rund 65 Millionen Euro. Symbol der Strecke ist der aus den bunten Segmenten einer stilisierten Fahrradkette zusammengesetzte Buchstabe W über dem Schriftzug Green Velo. Er steht für den Wschodni Szlak Rowerowy (östliche Radroute). Die Verantwortlichen setzen nicht nur auf eine große Nachfrage fahrradbegeisterter Polen, sondern auch auf zahlreiche ausländische Nutzer. Im Sommer dieses Jahres sollen sowohl die Homepage des Projektes als auch eine mobile Anwendung für iOS-, Windows Mobile- und Android-Geräte in deutscher und englischer Sprache erscheinen. Die Anwendung soll das Navigieren vor Ort einfacher und attraktiver gestalten und wird mit Tourenplaner, interaktiver Landkarte sowie Reiseführer ausgestattet sein.
Bis Ende Mai wurden in der Woiwodschaft Ermland-Masuren insgesamt 56 km der Strecke fertiggestellt, darunter eine durchgehende Strecke von 27 km Strecke in Węgorzewo (Angerburg) und Budry (buddern) am Nordufer des Mauersees (jez. Mamry). Auf diesem Teil der Route sind sieben Servicestellen für Radfahrer vorhanden. Weiter 46 Streckenkilometer sind im Bau und werden teils ganz neu gebaut, teils werden umgebaute Radwege aufgearbeitet. Auch gemeinsame Fußgänger-Fahrrad und Fahrradwege auf ehemaligen Bahndämmen werden in diesem Abschnitt vorhanden sein. Im Kreis Węgorzewo führt ein großer Teil der Route über alte Bahndämme, die immer eine große Attraktion für Radfahrer sind.
Mit Ausnahme des Kreises Elbląg Elbing) sind auf dem ganzen Rest der Strecke derzeit die Auswahlverfahren der Baufirmen kurz vor der Beendung. Die ersten Bauverträge sind im April dieses Jahres unterzeichnet worden.
Weitere Informationen über das Projekt Green Velo in den östlichen Regionen Polens finden Sie bei „Green Velo“.