25 Jahre nach Beginn der politischen Transformationen ist Ermland-Masuren noch immer eine wenig industrialisierte Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Polen. Doch nach 1989 begannen die Einwohner, die kulturelle Identität der Region, ihre komplexe Geschichte und das heutige ethnische Mosaik ganz neu zu entdecken.
Die Einwohner Polens sahen Ermland-Masuren in erster Linie als einen guten Ort zum Entspannen und für Natururlaub an. In den letzten 25 Jahren hat sich die touristische Infrastruktur so entwickelt und modernisiert, dass man manche Orte und Städte kaum wiedererkennt. Probleme jedoch bleiben die wenig ausgebaute Straßen- und Schienennetze, was aber letztlich im Bereich der Anbindung des ländlichen Raums auch an der geringen Bevölkerungsdichte liegt und im Straßenverkehr auch an der Rolle der Straßen als Schwerverkehrs-Transitmagistralen nach Russland, Litauen und Weißrussland. Doch profitiert die Region auch von der Nähe der Grenze zur Region Kaliningrad und dem kleinen Grenzverkehr. Trotz dieser Vorteile sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung der Region weiterhin konstant arbeitslos, und besonders viele junge Menschen aus Ermland-Masuren suchen eine Beschäftigung im Ausland.
Noch heute ist die Region ein typisch landwirtschaftlich strukturiertes Gebiet. Während der Zeit der Volksrepublik wurde diese agrarisch geprägte Region von den Staatsgüter (PGR) dominiert, deren Zahl am Ende der 80er Jahre zu sinken begann. Die politische Transformation ließ deren Existenzquelle Subvention versiegen, die Betriebe hatten auf den Märkten der neuen Marktwirtschaft keine Chance.
Wie Jan Rzeszutek von der ermländisch-masurischen Niederlassung der Agentur für landwirtschaftlichen Landbesitz der Nachrichtenagentur PAP gegenüber erklärte, erreichte vor 1989 der Anteil der vergesellschafteten Landwirtschaft in Staatshand in diesen Bereichen 50 Prozent. In einigen Gemeinden wie in Korsze und Barciany seien sogar 60 Prozent Staatsbesitz in großen landwirtschaftlichen Kombinaten Łyna und Mazury ausgewiesen worden. Die landwirtschaftlich-industrielle Vereinigung Kętrzyń war gar der größte landwirtschaftliche Betrieb in ganz Polen mit einer bebauten Fläche von 100.000. ha.
Noch im Jahr 1990 arbeiteten in den großen landwirtschaftlichen Kombinaten der Woiwodschaft Ermland-Masuren 65.000. Menschen. Im Laufe der nächsten nur zwei Jahre wurden zwei Drittel von ihnen entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Nur wenige Arbeitslose fanden Arbeit in neuen landwirtschaftlichen Betrieben. Der Zusammenbruch der staatseigenen Betriebe trug zum Anstieg der Arbeitslosigkeit in einigen Gemeinden auf bis zu 90 Prozent bei.
Es sei damals kein Gedanke daran verschwendet worden, dass das wichtigste immer der Mensch sei, meint Prof. Stanislaw Achremczyk, Historiker an der Universität Ermland und Masuren der Gazeta Wyborcza gegenüber zu dem Zeitraum, in dem damals die Umsetzung der Grundsätze des freien Marktes erfolgte. Die Folgen seien offensichtlich gewesen. Die ehemaligen Mitarbeiter der Staatsgüter seien nach ihrer Entlassung ganz allein auf sich gestellt gewesen. Man habe ihnen ihre Arbeit genommen, ohne ihnen im Gegenzug eine neue Perspektive zu bieten. In der Tat habe sich niemand um sie kümmern wollen und sie blieben ohne jede Hilfe und Unterstützung. Soziale Probleme wie Apathie, Trunkenheit, Armut seien die Folge gewesen, erklärte Achremczyk.
Nach Achremczyks Meinung hätte man die vor mehr als 20 Jahren liquidierten profitablen Teile der Staatsgüter retten können über eine Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen. Die Schließung von Staatsbetrieben bedeutete auch den Abbau von Infrastruktur um sie herum – neben dem Land, den Maschinen, Tieren und Gebäuden gehörten zu den Staatsgütern auch Kindergärten, Kliniken, Vereine und Sportangebote. Die Wohnungen im PGR-Eigentum wurden fast alle an die ehemaligen Mitarbeiter zu Vorzugsbedingungen verkauft. Sie zahlten damals zwischen10 bis 15.000. zł pro Wohnung. Doch diese Häuser und Wohnungen sind heute ein Klotz am Bein für die Bewohner der ehemaligen Staatsgut-Siedlungen, der dafür sorgte, dass sie nicht woanders Arbeit suchten. Einerseits war die Wohnung die einzige Sicherheit, der einzige Besitz, war aber andererseits kaum verkäuflich.
In den vergangenen Jahren siedelten sich in manchen ehemaligen PGR-Dörfern Unternehmen an, deren Eigentümer von EU-Subventionen profitieren. So blieb dort immerhin der ländliche Charakter der Region beibehalten, wenn auch in einer anderen Weise. Die Auswirkungen der Liquidation der staatlichen Betriebe und der Mangel an großen Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen bedeutet, dass die Region die hohe Arbeitslosigkeit, das seit 25 Jahren größte Problem der Region noch nicht bewältigt hat. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit in Ermland-Masuren bei über 20 Prozent und gehört zu den höchsten Polens. Für viele gut ausgebildete und selbst für hochqualifizierte junge, Leute erscheint die Auswanderung als einziger Ausweg.
Einer der immer besser genutzten Standort-Vorteile Ermlands und Masurens ist und bleibt die Nähe zur Grenze mit der Kaliningrader Oblast, und seit der Einführung des Kleinen Grenzverkehrs 2012 konnten die Bewohner der Grenzregion sehr davon profitieren. In den frühen 90er Jahren seien Tourismus und Begegnungen zwischen der damaligen Woiwodschaft Olsztyn und der Region Kaliningrad eher zufällig und recht begrenzt. erklärte Tadeusz Baryła von der Ostforschungsstelle im Zentrum für Wissenschaftliche Forschung in Olsztyn Journalisten gegenüber.
Organisierte Besuche offizieller Delegationen, hier ein Austausch von Schulkindern, dort einer für Sportler und Künstler und ein paar touristische Unternehmungen wie Ausflüge zu Heilbädern in der Region Kaliningrad – das war schon alles. Das habe sich verändert betonte Baryła. Derzeit sei der Verkehr an der Grenze wegen des Kleinen Grenzverkehrs sehr erleichtert. Seitdem hätten 10,5 Millionen Menschen die polnisch-russischen Grenze überschritten fügt der Wissenschaftler an.
Wie Baryła anmerkt, haben diese Reisen oft rein wirtschaftliche Gründe. Der Wert der in Polen gekauften Waren, für die russische Bürger die Mehrwertsteuer an der Grenze zurück erstattet bekamen, belief sich auf 164 Mio. PLN. Die Bewohner des Oblast Kaliningrad kommen aber nicht nur nach Ermland, Masuren und Pommern/Danzig um Elektronik, Nahrungsmittel und Luxusgüter zu kaufen, sondern auch im um in edlen High-End-Hotels und Spas zu entspannen.
Seit 25 Jahren habe sich die touristische Infrastruktur Masurens bis zur Unkenntlichkeit verändert sagte der ermländisch-masurische Leiter der PTTK Marian Jurak in einem Interview der Gazeta Wyborcza. Früher seien Übernachtungen in Hütten oder Zelten der Standard gewesen. Die beliebtesten Boote waren vom Omega-Typ. Heute seien die Yachten mit Pantry, Bad, Heizung, Kühlschrank und TV an Bord super ausgestattet, erklärte er.
Aber Jurak sieht auch Schwächen. Einst kam man mit dem Zug oder mit dem Bus überall hin und das waren die Transportmittel, das fast jeder verwendet habe. Um heute schnell nach Masuren zu kommen, müsse jeder sein eigenes Auto haben. Das hat zur Folge, dass in der Hochsaison Orte wie Giżycko oder Mikołajki zunehmend zugeparkt sind. Doch auch die Fahrt nach Masuren mit dem Autor ist nicht frei von Problemen. Obwohl in den letzten Jahren in einen besseren Standard der National- und Regional-Straßen investiert wurde, sei die Region immer noch schlecht angebunden. Es gäbe keine nahen Regionalflughäfen, erst im nächsten Jahr würde der Flughafen in Szymany eröffnet, fügt Jurak an.
Für die Bewohner von Ermland und Masuren bedeutete die politische Transformation nicht nur große gesellschaftliche Veränderungen oder Änderungen in der Infrastruktur, sondern auch eine Art Durchbruch in der Wahrnehmung des kulturellen und geschichtlichen Erbes der Region. Ma hörte auf, die Geschichte nur von der einen polnischen Seite zu betrachten. Die Bewohner begannen, die kulturelle Identität des Landes, seine komplexen Geschichte, und auch die Tatsache, dass die Bevölkerung nicht homogen ist und war, sondern eher multikulturell und in einem ethnischem Mosaik lebend, ganz neu zu entdecken. Heute geht man davon aus, dass in Ermland-Masuren ca. 8 Prozent. Bewohner Minderheiten angehören.
Nach Meinung des Historikers und gebürtigen Ermländers Dr. Jan Chłosta, begann man erst nach 1989 offen über die Tatsache zu sprechen, dass dies eine polnisch-deutsch-litauische Grenzregion sei, in der nicht nur die hier seit Urzeiten Ermländer und Masuren lebten und leben sondern auch Ukrainer, die durch die Aktion Weichsel 1947 hierher kamen.
Man ging also daran, die weißen Flecken zu beseitigen, und sei in der Lage gewesen, offen über die Anwesenheit der polnischsprachiger Bewohner im südlichen Ermland vor 1945 zu sprechen, über den Einmarsch der Roten Armee, und alles, was folgte. Nun kann auch über das Schicksal der ca. 100.000 Deutschen, Ermländer und Masuren die aus Ostpreußen in die Sowjetunion deportiert wurden, forschen und schreiben, erklärte Dr. Chlosta Lokalredakteuren der Gazeta Wyborcza gegenüber.
Nach 1989 wurden Nicht-Regierungsorganisationen gegründet, die damit begannen, die Erinnerung an die Multikulturalität der Region wiederherzustellen. Eine von ihnen ist die Allensteiner Kulturgemeinschaft „Borussia“ die durch Publikationen, Freiwilligenprogramme und Projekte zur Restaurierung von Denkmälern die Erinnerung an die kulturelle Komplexität des Landes bewahren.
Ein solches Projekt war die Wiederherstellung des Beth Tahara. Es ist die Leichenhalle, die Erich Mendelsohn, der weltbekannte Allensteiner Architekt jüdischer Herkunft für die jüdische Gemeinde gebaut hatte. Das Denkmal war viele Jahre dem Verfall preisgegeben. Heute beherbergt das Bet Tahara ein Zentrum für interkulturellen Dialog.
Die Entdeckung des Multikulturalismus zeigt sich auch in der Sanierung von Schlössern und Herrenhäusern des ostpreußischen Adels. Die Autorin des Buchs über Paläste und Herrenhäuser in Ostpreußen Małgorzata Jackiewicz-Gallon meint in einem Pressegespräch, dass die Renovierung historischer Gebäude gelinge, wenn die neuen Besitzer der Denkmäler – neben großen finanziellen Mitteln – auch eine echte Leidenschaft und eine Vorstellung von der Erhaltung und Bewirtschaftung solcher Bauten haben.
Das sei sicher in den Palästen von Galiny und Nakomiady der Fall gewesen, die zwei großartige Beispiele für eine geglückte Restaurierung seien. In anderen Fällen haben die Eigentümer entweder die Kosten nicht stemmen können oder es fehlte ein schlüssiges Konzept für den späteren Erhalt und die Verwendung solcher Einrichtungen, betonte Jackiewicz-Gallon. So sei es auch immer wieder in Drogosze (Dönhoffstädt) und Sztynort (Steinort) so gewesen dass eine Idee da war, aber nicht das Geld für die Realisierung und das habe immer zu großen Schäden geführt. Immerhin – Was Steinort betrifft, könnte es diesmal gut ausgehen.