Gedenkstein für die Opfer des Massakers von Palmnicken, Foto: Hans-Christian Kords, CC BY-SA 3.0
Ostpreußen, das war Idylle, Weltabgeschiedenheit und ein traumverlorenes, aus der Zeit gefallenes Land. Und dennoch spielte sich noch Ende Januar 1945, als Ostpreußen schon verloren war, am vom Blut rot gefärbten Ostseestrand der Bernsteinküste eines der letzen und schrecklichsten Massaker in der Geschichte des 3. Reiches ab.
In Ostpreußen gab es keine Konzentrationslager. Doch gehörte zum KZ Stutthof (Sztutowo) eine Reihe von Außenlagern, die über ganz Ost- und Westpreußen verteilt waren. Die größten Außenlager waren in Thorn und Elbing mit je ungefähr 5000 jüdischen Frauen als Gefangene, in Stutthof selbst waren es Ende 1944 über 20 000. Zusammen mit den über 100 Außenkommandos belief sich die Häftlingszahl damals auf mehr als 52 000, davon waren über 33000 Frauen(26000 der 29000 Juden waren Frauen).
Gegen Ende 1944 hatten die Häftlingszahlen sprunghaft zugenommen, ganze Transporte ungarischer Jüdinnen (20-30 000) kamen an, immer mehr wurden in Ostfrontnähe über See aus Lagern evakuiert, die vom Vormarsch der Sowjetunion bedroht waren, vor allem aus dem Baltikum und da besonders aus Riga, Kaunas und Schaulen, auch aus Auschwitz kamen immer wieder Transporte an.
Entsprechend veränderte sich die Häftlingszusammensetzung dramatisch, Ende 1944 waren mindestens 70% der Häftlinge Juden. Die Überfüllung des Lagers war gigantisch.
Tausende wurden Mitte Januar 1945 nach Osten Richtung Königsberg geschickt, wahrscheinlich zum Ausbau der „Festung“, was im einsetzenden Chaos nicht mehr möglich war, die Stadt stand kurz vor der ersten Einschließung.
Auch die Außenlager des KZs Stutthof wurden nun ob der heranrückenden Roten Armee aufgelöst und die Insassen zu Tausenden ebenfalls nach Königsberg getrieben, wo sie in eine Fabrik nahe dem Nordbahnhof kamen, 13000 Gefangene waren dort gemäß letztem Zählappell konzentriert. Was mit der Mehrheit geschehen ist, weiß niemand, die restlichen gut 5000 wurden am 26. Januar 1945 ohne Lebensmittel und völlig unzureichend bekleidet Richtung Palmnicken getrieben, erbarmungslos wurde jeder strauchelnde oder entkräftete Häftling erschossen oder erschlagen. Eine Blutspur markierte den Leidensweg, Tausende starben.
In diesen bitterkalten Wintertagen mit Schneestürmen und klirrendem Frost von manchmal mehr als 20 Grad lagerten die Häftlinge schutzlos im offenen Gelände, niemand weiß, wie viele erfroren. Das Begleitkommando erschoss jeden, der nicht mehr weiter konnte, am helllichten Tag und völlig ungeniert und vor Hunderten von Zeugen. Nur etwa 3000 der zumeist jungen Frauen überlebten.
In den Stollen der stillgelegten Grube Anna des Palmnickener Bernsteinwerks sollten die herbei getriebenen Häftlinge eingemauert werden. Man erwartete dort die Mithilfe
des Bürgermeisters und Ortsgruppenleiters der NSDAP Kurt Friedrichs, und der Leitung des Bernsteinwerkes. Doch Direktor Landmann gab die Stollen nicht frei sondern brachte die Opfer im Werk unter und der Direktor der Bernsteinwerk-Güter Feyerabend stellte die Häftlinge unter Schutz.
Im Ort machte indessen Bürgermeister Friedrichs Jagd auf geflohene Juden. Es gab Menschen die halfen, Bertha Pulver und Dora Hauptmann versteckten Verfolgte, bis die Russen kamen.
Um freie Bahn zu haben, wurde am 30.1.1945 Güterdirektor Feyerabend, der als Reserveoffizier Kommandant des Palmicker Volksturms war, mit seiner Abteilung nach Kumehnen gesandt und nahm sich das Leben.
Bürgermeister Friedrichs kommandierte ein Dutzend bewaffnete Hitlerjungen – darunter Martin Bergau, der später ein Buch über die Vorgänge schrieb , mit drei SS-Leuten an die Küste zur Grube Anna. Dort bewachten sie gut vierzig junge Frauen, die bei ihrem Fluchtversuch wieder gestellt worden waren. Zu zweit wurden die Frauen an eine Grube geführt und erschossen. Wer nicht gleich tot war, wurde von den Hitlerjungen erschossen.
Um keinen weiteren Widerstand zu provozieren ging die SS jetzt versteckter vor. Sie trieb in der Nacht vom 31.1. zum 1.2. die dreitausend Häftlinge die Steilküste hinunter außer Sichtweite des Ortes an den Strand, wo die SS sie unter Maschinengewehrfeuer Gruppenweise in die Ostsee trieb. Viel wurden sofort tödlich getroffen, andere ertranken zwischen Eisschollen oder starben an Unterkühlung, andere lagen noch tagelang auf dem Strand. Wochenlang wurden Unmengen von Leichen an den Strand gespült. Wenige konnten sich retten, es gab nur 13 Überlebende.
Viele Opfernamen blieben unbekannt, niemand weiß, ob und wie viele ostpreußische Juden unter diesen Opfern waren. Es war der finale Akt der Grausamkeiten, ein finale furioso ein Symbol für das Ende des jüdischen Lebens, dem das Ende des deutschen Lebens auf dem Fuße folgte. Nun wurden die deutschen Ostpreußen ähnlich in alle Winde zerstreut, wie fast 2000 Jahre zuvor die Juden.
Video von der Gendenkfeier in Palmnicken (Jantyrnij) am Sonntag, den 20.1.2016:
Posted by Aleksey Zalivatskiy, Sonntag, 31. Januar 2016
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