Problemregion Ermland-Masuren?

Die Moderne hat Einzug gehalten in Masurens Landswirtschaft, Foto: B.Jäger-Dabek

Ermland und Masuren – das ist auch für die Polen längst eine der Traumregionen mit Sehnsuchtsfaktor, die man immer gern im Urlaub besucht. Das Klappern der Störche in verträumten Dörfern, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, dazu Tausende von klaren Seen, eingebettet in eine rundliche, gemütliche Landschaft mit riesigen Wäldern, sind eine in Europa einmalige Idylle.

Doch hat diese Idylle auch ihre Schattenseiten. Die Woiwodschaft Ermland-Masuren (Województwo Warmińsko-Mazurskie) ist mit 59 Einwohnern pro Quadratkilometer dünn besiedelt, es gibt mit Olsztyn (Allenstein) mit rund 175.000 und Elbląg (Elbing) mit rund 124.000 Einwohnern nur zwei größere Städte. Dabei ist Olsztyn mit seiner Universität und dem größten Industriebetrieb, der heute zum Michelin-Konzern gehörenden Reifenfabrik Stomil das alles überstrahlende Regionalzentrum und sogar unter den acht Standorten mit dem größten Zukunftspotenzial.

Doch ist das Gefälle in der Woiwodschaft noch immer riesig zwischen der herausgeputzten quirligen Regionalmetropole Olsztyn und den abgelegenen Dörfern, deren einziger Arbeitgeber einst die PGR genannten Staatsgüter waren. Zu erkennen sind sie an den quadratisch-praktischen Bauten, die einst den Anspruch hatten, städtische Wohnformen aufs Land zu bringen. Die Staatsgüter sind längst geschlossen, alternative Arbeitsplätze sind kaum vorhanden. Noch immer ist – bei allen Bemühungen dort tiefstes Polen B, einer der Ostregionen jenseits der Weichsel, um die der große Aufschwung einen Bogen machte. In diesen Dörfern der Wendeverlierer gibt es Arbeitslosenquoten von bis zu 80 Prozent, der Bildungsstand unter den Erwachsenen ist schlecht, kaum einer der Arbeitslosen hat eine Berufsausbildung, mit der man heutzutage etwas anfangen könnte. Ein reines Agrargebiet zu sein, reicht heute nicht mehr um Anschluss an die Entwicklung des Landes zu halten. Auch wenn es den Menschen in der übrigen Woiwodschaft besser geht, gibt es in Ermland und Masuren noch immer das niedrigste Nettoeinkommen ganz Polens.

Auf den ersten Blick liest es sich paradox, aber genau mit diesem niedrigen Lohnniveau (Durchschnittslohn bei rund 3.000 Złoty gegenüber 3.650 im Landesdurchschnitt) wirbt das Marschallamt der Woiwodschaft mit diesem „Standortvorteil“ um Neuansiedlungen aus Gewerbe und Industrie. Besonders attraktiv zeigen sich dabei die Sonderwirtschaftszonen Ermland-Masuren mit ihren Steuernachlässen von bis zu 70 Prozent. Die ermländisch-masurische Sonderwirtschaftszone WMSSE liegt unter Polens 14 Sonderwirtschaftszonen auf Platz 2, Dort haben 24 Firmen investiert, die Größten unter ihnen sind Michelin in Olsztyn und LG in Mława.

Heute agieren 49,4% der 113.000 Wirtschaftsunternehmen im Dienstleistungsbereich, 28% mit dem Erziehungswesen, 8,3% mit der Verwaltung und 5,4% ist im Gesundheitswesen tätig. Die größte wirtschaftliche Bedeutung für die Region hat mit einem Drittel die Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln und Getränken Dabei verwendet die Lebensmittelindustrie weit überwiegend lokal erzeugte Rohstoffe in hoher Qualität, meist von Bio-Produkten. Dieser Wirtschaftsbereich ist sowohl für den Binnenkonsum als auch für den Export. Dementsprechend groß für die Region ist die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft, für die mehr als die Hälfte der Fläche genutzt wird. In diesem Bereich sind 17% der Bevölkerung tätig. Die durchschnittliche Hofgröße misst 21 ha, damit liegt die Woiwodschaft auf Platz 2 in Polen. Rasant wächst noch immer der Anteil der Öko-Bauenhöfe (derzeit rund 800), die Fläche dafür beträgt mittlerweile über 30.000 ha. Weitere wichtige Wirtschaftszweige in der Woiwodschaft sind Holzproduktion, Holzverarbeitung und Möbelproduktion, Maschinenbau und Reifenproduktion. Ein immer wichtiger werdender Wirtschaftsfaktor ist der Tourismus, denn rund drei Millionen Urlauber besuchen derzeit die Woiwodschaft jährlich.

In früheren Nachwendejahren war ein großes Ansiedlungshindernis der Mangel an spezialisierten Fachkräften. Heute gilt das nurmehr für den Hightechbereich und IT-Unternehmen. Dies war einer der Gründe, warum die Investitionen in der Woiwodschaft nur 2-3% der landesweiten Summe erreichten. Mit Gründung der ermländisch-masurischen Universität UWM in Olsztyn erfolgte ein großer Entwicklungsschub für die Region. Weitere 15 Hochschulen und 22 Forschungszentren bilden 60.000 Studenten aus, allein 40.000 studierten an der Uni Olsztyn.

Was nicht klappte, war der große Sprung in den Hightech-Bereich, der gleich mehrere Entwicklungsstufen zu überspringen versuchte. Der Wndel zu Hightech-Standort ist nicht im Handumdrehen zu bewerkstelligen. Dafür fehlten nicht zuletzt die Arbeitskräfte, trotz der im ländlichen Bereich hohen Arbeitslosigkeit, auch hochgebildete Spezialisten findet man eher an der TU Danzig. Da helfen auch schicke Technologieparks wie in Elbląg nichts, die dann relativ verweist dastehen. Was allerdings funktioniert ist die Ansiedlungen von Betrieben mit neuen Technologien und Erweiterungen des Angebots, die quasi an bestehenden Wirtschaftszweigen in der Woiwodschaft und deren Rändern andocken und so das Angebot erweitern. Welche das sein können, zeigen die bereiche, in denen die UWM einen erstklassigen Standard bietet: Biotechnologie, Tierzucht, Geodäsie, Flächenbewirtschaftung, Umweltschutz, Mechanik und Landwirtschaft

Eine neue Hoffnung entwickelt sich mehr als nur wie ein zartes Pflänzchen in der Woiwodschaft durch die Installation des „Kleinen Grenzverkehrs“ mit dem Kaliningrader Bezirk jenseits der polnisch-russischen Grenze, der dem örtlichen Einzelhandel – vor allem den Einkaufszentren – einen großen Zulauf brachte. Der Export nach Russland boomt ohnehin bereits.

Die Anfänge im Verkehrswesen sind gemacht, die Schnellstraße E/ ist ausgebaut. Doch was weiter verbessert werden muss, sind die Infrastruktur und Verkehrsanbindung, besonders auch noch Osten, ganz vordringlich nach Kaliningrad. Die Bahnverbindung nach Danzig wird demnächst erneuert. Was sich noch ändern soll ist der Transport von Waren. Noch immer werden die nahe Häfen Elbing und Danzig sowie Gdynia zu wenig genutzt. Noch immer laufen zu viele Exporte nach Russland über den Umweg Hamburg, wo sie dann erst nach Russland verschifft werden.

Herauskristallisiert hat sich für die Ansiedlungsbemühungen und einen Entwicklungsplan für die Woiwodschaft dieses Profil:

Standortvorteile für Unternehmensansiedlungen in Ermland-Masuren

  • Das niedrige Lohnniveau
  • Die Lage an der Grenze zum Zukunftsmarkt Russland, für den Kaliningrad die Eintrittspforte ist.
  • Unverbrauchte Landschaften mit großen touristisch nutzbaren Werten, die vor allem jenseits der Billigschiene des Massentourismus Qualitätsangebote bietet, besonders für Aktivurlauber und den Agrotourismus.
  • Eine Sonderwirtschaftszone mit bis zu 70% Steuernachlass bis 2026, die noch erweitert wird.
  • Hervorragend ausgebildete Hochschulabsolventen im Bereich Biotechnologie, Tierzucht, Geodäsie, Flächenbewirtschaftung, Umweltschutz, Mechanik und Landwirtschaft ermöglichen die Ansiedlung innovativer Betriebe dieser Tätigkeitsfelder.
  • Der Flughafen Szymany bei Orzysz/Ortelsburg wird 2015 in Betrieb genommen, dazu wird die Bahnstrecke Olsztyn-Pisz/Johannisburg ausgebaut mit Gleisanschluss für den Flughafen.
  • Kontinuierlicher weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur