Oberlandkanal: In Masuren fahren Schiffe auch über Land

Oberlandkanal - Wo Schiffe über Land fahren, Foto: B.Jäger-Dabek

Ächzend kommt das kleine weiße Schiff den Berg hinauf geschnauft, mühsam klingt das Rattern, denn die Steigung des grünen Hügels ist doch ziemlich steil. Dann ist die Kuppe erreicht, die flach ins Wasser ausläuft. Das Schiff gleitet in sein Element zurück. Der Maschinist wirft den Diesel an und fast gelangweilt gleichmäßig tuckernd dampft das Schiff auf dem Kanal davon, als ob das das Normalste auf Erden wäre.

Und es ist kein Trugbild der flirrenden masurischen Sommerhitze – aber wo sonst als in Masuren, sollten Schiffe auf einem Wasserweg auch schon einmal über Land fahren?

Dennoch, er ist auch in Masuren schon ein außergerwöhnlicher Wasserweg und eine in Europa einmalige Attraktion, dieser früher nach der Landschaft Oberlandkanal genannte Elblag – Ostroda- Kanal (Kanał Ostródzko-Elblągski) – mal fährt das Schiff auf einem Kanal, mal durchquert es einen See, dann wird es geschleust und mehrfach führt die Route eben auch über Land.

Doch nur gerade mal 50 Kilometer der fast 200 Kilometer langen Wasserstraße entfallen auf den Kanal selbst, die restliche Strecke führt durch Seen. Aber Wasser hat jede Wasserstraße zu bieten, solche Kanäle gibt es überall, das Besondere an diesem Kanalsystem aber ist weder das Wasser, auch nicht die Schleusen. Ganz und gar außergewöhnlich sind die Strecken, auf denen die Schiffe über Land fahren, auf den auch Rollberge genannten schiefen oder geneigten Ebenen.

Dort ziehen auf Schienen laufende Wagen mit fast fragil wirkenden zierlichen Gestellen die Schiffe über Land. Funktionieren tut das Ganze völlig ohne Strom oder Maschinenkraft und nur durch die Kraft des Wassers – fast wie ein umweltfreundliches Perpetuum mobile.

Wozu das nötig ist? Der Höhenunterschied zwischen den beiden Endpunkten Elbląg und Iława beträgt rund hundert Meter. Er wird durch ein einmaliges System von Schleusen und fünf geneigten Ebenen ausgeglichen.

Dieses europaweit einmalige technische Baudenkmal wurde Mitte des letzten Jahrhunderts vom Königsberger Baurat Georg Steenke geplant und ab 1844 erbaut. Eröffnet wurde der Kanal am 31. Augsut 1860 und sicherte von nun an vor allem den Holztransport und den Transport der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur Ostsee. Doch mit den schmalen Schleusenkammern und nur 1,20 Meter möglichem Tiefgang verlor der Kanal schnell seine wirtschaftliche Bedeutung, als das Eisenbahnnetz Ostpreußen erreichte und sich rasch ausbreitete. Noch bis 1912 diente der Kanal ausschließlich dem Gütertransport, dann baute der Osteroder Kaufmann und Reeder Adolf Tetzlaff ganz auf den einsetzenden Tourismus und setzte eine Flotte von Ausflugsschiffen auf dem Kanal ein. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Schifffahrt auf dem Oberlandkanal gänzlich eingestellt. .

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war es wiederum der Reeder Adolf Tetzlaff, auf dessen Betreiben der nun zu Polen gehörende Kanal ab 1948 wieder von Ausflugsschiffen befahren wurde. Nach der Wende übernahm 1992 die Stadt Ostróda den Kanal und die Ausflugsschifffahrt.

Auch heute ist der Oberlandkanal so das, was er schon immer war: eine Attraktion für Touristen. Während der Sommersaison vom  1.5.- 30.9.kann man die 98 Kilometer lange Strecke Ostroda – Elblag (13 Std.) mit den Schiffen der Zegluga Ostrodzko-Elblaska im Rahmen einer Tagestour befahren. Zurück geht es bequem mit dem Bus der Reederei. Dies ist der interessanteste Teil des Kanals, an dem sowohl die schiefen Ebenen liegen als auch eine weitere Attraktion bei Elblag, der Drużno – See (Drausensee). Dieser See ist ein Naturschutzgebiet und der Überrest einer Bucht des Frischen Haffs, die vor Jahrhunderten trocken gelegt wurde. An seiner tiefsten Stelle ist der Drausensee nur 2,5 m tief. Eher einem verlandenden Sumpf gleichend fällt er in regenarmen Sommern bis auf ein paar Wasserrinnen trocken und ist ein Brutrefugium für zahlreiche Vogelarten.

Wer die Zeit für die ganze Schiffstour von Ostroda nach Elblag nicht aufbringen kann, hat auch vom Land aus die Möglichkeit, die geneigten Ebenen einmal anzusehen und sich die Funktionsweise an Ort und Stelle erklären zu lassen. Am besten zugänglich sind die Ebenen in Maldyty und Caluny Nowe.

Überaus lohnend ist das ganze Revier auch für Kanuten. Der Wasserweg ist durchgängig für Segelboote, Kanus und Kajaks befahrbar, auch Sportboote werden  über die schiefen Ebenen gezogen. Einige Teile des Systems sind ihnen sogar vorbehalten, wie der Abschnitt Ostroda – Stare Jablonki (17 km), Paddelboote können vielerorts ausgeliehen werden.

Wegen grundlegender Renovierungsarbeiten kann der Kanal 2013 und 2014 nur auf Teilstrecken befahren werden. Vor allem die fünf geneigten Ebenen werden seit 2012 bis voraussichtlich Juni 2014 umfassend restauriert werden und stehen für den Verkehr deshalb nicht zur Verfügung. Aber auch einige Schleusen sind von der aufwendigen Sanierung betroffen. So sind die beiden Schleusen bei Ostroda (Osterode) und Mala Rus vom 1.10.2012 bis mindestens August 2013 wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Die Schleusen Milomlyn und Zielona sind wegen Umbauarbeiten von September 2013 bis voraussichtlich August 2014 nicht in Betrieb. In Buchwalde/Buczyniec werden zudem Liegeplätze für Schiffe und ein Museum zur Geschichte des Oberlandkanals entstehen. Auf der Internetseite der Reederei Żegluga Ostródzko – Elbląska findet man den aktuellen Stand der möglichen Fahrten.

Die Fahrt auf dem Oberlandkanal mit einem der speziell für die Verhältnisse dieses Wasserweges gebauten kleinen Passagierschiffe gleicht einer Reise in eine ganz andere Welt, eine Naturwelt, die aus einer anderen Zeit zu kommen scheint.

Urwaldbesäumte Kanalufer rechts und links, längst von der Natur zurückerobert. Lautlos schließen sich die vom gelassen tuckernden Schiff durchteilten gelben Mummelfelder wieder. Malerische Seen mit verschwiegenen Buchten werden durchfahren, ganz selten nur menschliche Spuren, wenn der Blick sich weitet und die ursprüngliche Landschaft den Blick frei gibt auf ein von fetten, sattgrünen Wiesen umgebenes verschlafenes Dorf, oder wenn ein Segelboot entgegenkommt. Ein Paradies für Wasservögel aller Art, eine Fahrt zum Träumen durch ein verwunschenes, aus der Zeit gefallenes Land.

 Karte des Oberlandkanals, Foto: Telewizjamsi, public domain, gemeinfrei