28. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft in Krutyń

Schweigeminute für Tadeusz Willan, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Schweigeminute für Tadeusz Willan, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Vom 28. Bis 30. Mai 2018 fand im Hotel Habenda im masurischen Krutyń (Kruttinnen) das 28. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft statt. Thematisch ging es bei dem Seminar um das Bild Masurens und der Masuren in den Publikationen der Buchreihe „Meine Masurische Bibliothek”, die vom in Dąbrówno (Gilgenburg) ansässigen Verlag Retman herausgegeben wird.

Hanna Schoenherr von der Masurischen Gesellschaft eröffnete erstmals das Seminar, das unter dem Eindruck des Todes (17.04.2018) von Tadeusz Willan stand. Der renommierte Journalist, Schriftsteller und langjährige Vorsitzende der Masurischen Gesellschaft war der Initiator und Spiritus Rector der Seminare. Sein Ableben stellt einen unersetzbaren Verlust für die Region Masuren dar. Die Seminarteilnehmer gedachten seiner mit einer Schweigeminute.

Grußworte und Beileidbekundungen übermittelten der Vertreter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Danzig William Schauinsland, der Bischof der ev.-augsburgischen Kirche Polens Paweł Hause sowie das Marschallamt und die Woiwodschaftsverwaltung in Olsztyn  (Allenstein).

Hanna Schoenherr und Maria Grygo gaben einen Einstieg in das Seminarprogramm mit einem Überblick der Buchreihe „Meine masurische Bibliothek“ (Moja biblioteka mazurska). Besonders die Ortsgeschichten, die Kochbücher sowie das Bewahren von Literatur, Volkskultur und der Traditionen der evangelischen Kirche in Masuren machen diese Buchreihe aus.

Bücher zur evangelischen Kirche

Prof. Jasińıski trägt vor, Foto: Brigitte Jäger-Dabek
Prof. Jasińıski trägt vor, Foto: B. Jäger-Dabek

Einige Referate befassten sich intensiv mit Publikationen über die evangelische Kirche in Masuren. Der Historiker Prof. Grzegorz Jasiński von der Ermländisch-Masurischen Universität Olsztyn (Allenstein) berichtete in seinem ersten Vortrag über sein Buch „Masurischer Protestantismus im 19. Jahrhundert. Erinnerungen, Berichte und Betrachtungen von Geistlichen und Lehrem” (Mazurski ewangelicyzm W XIX Wieku. Wspomnienia, relacje, rozważania duchownych i nauczycieli). Aus den zahlreichen Zeugnissen verschiedenster Pfarrer zeichnet Prof. Jasiński ein sehr vielfältiges, lebendiges Bild der Religiosität und zeigt den damaligen Stand des geistigen Lebens im masurischen Inseldasein. Diese damals weitgehend polnischsprachige Insel bestand seinerzeit aus 130 Gemeinden. Die ersten Ausreisewellen führten genauso zu großen Veränderungen im evangelischen Gemeindeleben, wie die Laienbewegung der Gromadki die in Opposition zur verordneten unierten Kirche stand. Deutlich wird auch, wie exotisch sich das Bild Masurens bis zum 1. Weltkrieg für die meisten Reichsdeutschen darstellte, trotz der Öffnung durch Kulturkampf und Germanisierungsdruck.

In seinem zweiten Referat stellte Prof. Jasińıski sein Buch „Die Geschichte der Evangelischen Kirche in Ermland und Masuren nach dem Jahr 1945” (Dzieje Kościola Ewangelickiego na Warmii i Mazurach po 1945 roku) vor. Ein solches Werk existierte bisher nur von einem katholischen Priester. Als zentralen Themenstrang in der Nachkriegsgeschichte der evangelischen Kirche in Ermland und Masuren stellt Prof. Jasińıski den Komplex Ort, Nation und Sprache heraus. Die Sprache der Gläubigen war und blieb noch lange Deutsch, die der sie umgebenden Nation sowie die der evangelisch-augsburgischen Kirche Polnisch. So war es von Anfang an ein großes Problem, genügend Geistliche zu entsenden, die auch Deutsch sprachen. So waren 1946 erst 53 Gemeinden registriert. Eine große Veränderung brachte die Massenauswanderung der Masuren von 1956 mit sich. Die evangelische Kirche war und blieb vom Staat massiv benachteiligt, der Polonisierungsdruck war groß, denn die Kirchensprache hatte Polnisch zu sein. Nach der politischen Wende änderte sich das alles. Ab 1995 ist die Diskussion um die Sprache beendet: Deutsch als Gottesdienstsprache ist seitdem erlaubt.

Am dritten Seminartag rundete Hanna Schoenherr den Komplex um Buchveröffentlichungen zu kirchlichen Themen ab. Sie präsentierte das Buch von Dominik Krysiak „Protestanten in Nikolaiken” (Ewangelicy w Mikoiajkach). Die dortige evangelische Gemeinde ist eine der ältesten und größten Gemeinden der Reformation in Masuren. Krysiaks Buch stellt aus dem fast fünfhundertjährigen Bestehen den Abschnitt der Nachkriegsgeschichte dar. Ein Schwerpunkt sind dabei die Strukturen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Masuren und ihre Beziehungen zu den Staatsbehörden und dem Sicherheitsapparat der PRL. Weiterer wichtiger Aspekt der Publikation ist der soziologische und demographische Aufbau der Gemeinde und die vielfältigen Veränderungen nach 1945. Großen Raum nimmt die Figur des langjährigen Pfarrers (1946-1985) Władysław Pilch-Pilchowski ein. Die Geschichte seines Lebens war die Grundlage des heutigen Museums der polnischen Reformation in Nikolaiken.

Vorträge zu Geschichte und Kultur Masurens

Den „Literarischen Abend am ersten Seminartag bestritt die Literaturwissenschaftlerin Dr. Marianne Kopp. In den musikalischen Einschüben zeigte Dr. Kopp ihr musikalisches Talent stimmlich und an der Querflöte. In Gesang und an der Gitarre wurde sie von Brigitte Jäger-Dabek unterstützt.

Literatur auf dem Wasser, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Literatur auf dem Wasser, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Höhepunkt des zweiten Seminartags war die Fahrt nach und eine Schifffahrt mit der weißen Flotte von Giżycko (Lötzen) aus. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literatur auf dem Wasser” stellte der Historiker Jan Sekta sein demnächst erscheinendes Buch „Das frühere Lötzen in 100 illustrierten Erzählungen” („Dawne Giżycko w 100 ilustrowanych opowieściach) vor. Mit einem Augenzwinkern berichtete Sekta über seinen eigenen Zugang zur Geschichte von Giżycko, als die Stadt noch Lötzen hieß. Er ging daran, die Geschichte der Stadt zu bewahren noch zu Zeiten, als das politisch nicht opportun war. Sein neues Buch stellt die Stadt in Erzählungen dar und schafft so ein lebendiges Bild des Stadtlebens.

Der Verleger Waldemar Mierzwa berichtete in seinem Vortrag zu seinem demnächst erscheinenden Buch „Masuren verstehen” (Zrozumieć Mazury) auch über die Buchreihe „Meine masurische Bibliothek“ und seine Beweggründe diese Reihe zu begründen. Seine Verlagsserie berichtet über die Geschichte und Kultur, die Natur und Menschen aus Masuren und dem Ermland auch einmal mit einem Augenzwinkern über die Eigenheiten. Die Bücher machen erfahrbar, was diese Region so besonders macht.

Waldemar Mierzwa stellt seine Bücher vor, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Waldemar Mierzwa stellt seine Bücher vor, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Waldemar Mierzwa stellte dann gemeinsam mit den drei Koautoren Dietmar Serafin, Mirosław Gworek und Krzysztof Worobiec das wohl opulenteste Werk dieser Buchreihe seines Verlags vor, das „Buch der Johannisburger Heide” (Ksiȩga Puszczy Piskíej“). Das Buch stellt ein Panorama des Lebens in der Johannisburger Heide dar, erzählt von den Bewohnern selbst. Es kommen Menschen zu Wort, die über ihr Leben in der Region berichten und die Johannisburger Heide aus der Sicht der dort lebenden Menschen erklären.

So berichtet Mirosław Gworek, Hotelier und Restaurantinhaber aus Głodowo bei Ruciane Nida über die Anfänge seiner Familie in dem kleinen Fischerort, in dem die anderen Dorfbewohner Deutsch sprachen und dem Aufstieg zum Hotelier und Restaurantbesitzer. Dietmar Serafin gehörte zu einer alteingesessenen Familie, die 1947 nach Masuren zurückkehrte und nach Weissuhnen (Wejsuny) zog. Serafin wurde Forstbeamter und blieb lebenslang in der Johannisburger Heide.

Viele der rund 200 Fotografien des Buches stammen von Krzysztof Worobiec. Der Publizist und Museums-Spezialist ist einer der Pioniere des polnischen Umweltschutzes und zeigte den Seminarteilnehmern seine spektakulärsten Wolfsaufnahmen.

Kinderschicksale der Nachkriegszeit

Der letzte Seminartag widmete sich dem Schicksal der in den Wirren von 1945 allein in Ermland und Masuren zurückgebliebenen Kinder und Waisen. Die freie Journalistin und Autorin Brigitte Jäger-Dabek präsentierte im ersten Teil ihres Referats das Buch von Ryszarda Sznejer „Meine Mütter. Weg auf der Suche nach meiner Familie” (Moje matki. Droga poszukiwania rodziny).

In ihrem autobiografischen Werk schildert Maria Szczerbińska-Kosiels ihr eigenes berührendes Schicksal. Ihr Mann ermunterte sie zur intensiven Suche nach ihrer wahren Identität. Es stellte sich heraus, dass sie nicht etwa ein adoptiertes, von den deutschen Besatzern geraubtes polnisches Kind war. Die Spuren führten sie in ostpreußische Waisenhäuser. Dort war Maria Szczerbińska-Kosiel als Ryszarda Sznejer und zuvor als Reintraut Schneier registriert. Doch ein glückliches Ende fand die Suche nicht, denn letzte Gewissheit konnte Maria Szczerbińska-Kosiel nicht erreichen. Im zweiten Teil ihres Referats lieferte Brigitte Jäger-Dabek einen historischen Überblick über den Umgang mit deutschen Kriegswaisen nach 1945 und die Politik zwischen Zwangspolonisierung und Vertreibung.

Joanna Wańkowska-Sobiesiak sprach über ihr neues Buch „Einsame fremde Kinder“ (Same cudze dzieci), das im Verlag der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit herausgegeben wurde.

Wie in allen ihrem Büchern, geht die Autorin nach dem Muster von Zeitzeugeninterviews vor. Hier handelte es sich um 18 als Kinder allein zurückgebliebenen Kinder vorwiegend der späten 1920er und der 1930er Jahrgänge aus Ostpreußen. Gespräche mit einstigen Erzieherinnen in den Kinderheimen runden den Band ab. Die Verfasserin stützte sich bei ihrer Arbeit auf die Forschungen des Soziologen Stanislaw Ossowski

Ein märchenhafter Abschluss

Märchenhaftes von den Theatergruppen der Grundschule Kruttinnen, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Märchenhaftes von den Theatergruppen der Grundschule Kruttinnen, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Für den Abschluss des Seminars sorgten wie schon üblich die Schüler der Grundschule in Kruttinnen.   Das Schülertheater begann mit ”Schneewittchen”, einer Märchen-Aufführung unter der Leitung von Maria Grygo. Daran schloss sich „Bajkowy ambaras” an, eine Märcheninszenierung, die von Ewa Dulna geleitet wurde.

Das 28. Kultur- und Begegnungsfest der Masurischen Gesellschaft wurde vom Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Danzig sowie der Verwaltung der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Allenstein (Olsztyn) finanziell unterstützt.