Masuren: traumverlorene Landschaften, Foto: © B.Jäger-Dabek
Masuren – Sehnsuchtsziel aller Naturliebhaber, eine Region, in der man noch immer traumverlorene, wie aus der Zeit gefallene Landschaften findet. Was aber ist Masuren eigentlich?
Es fängt schon mit einem immer häufiger werdenden Missverständnis an:
Es heißt nämlich “Masuren”, nicht “die Masuren”, also fährt man auch “nach Masuren” und nicht “in die Masuren”, einen Plural hat das Wort im Deutschen nicht. “Die Masuren” sind die Menschen, die dort leben. Es handelt sich bei dieser Pluralform um eine Rückübersetzung aus dem Polnischen. Polen fahren „na Mazury“, Deutsche schlicht nach Masuren. Auf Polnisch ist „Mazury“ ein Plural. „In die Masuren“ ist also ein Fehler durch die Rückübersetzung aus dem Polnischen. Die aber ist überflüssig, es gibt das Wort „Masuren“ ja im Deutschen.
Was der DUDEN dazu sagt? Ganz einfach, “Masuren”, als Nomen mit dem Genus “neutrum”, also sächlich und nicht etwa “feminin”, dazu als Nomen ohne Plural und Artikel:
Ma|su|ren; -s: Landschaft im südlichen Ostpreußen.
Masuren – Immer zwischen allen Stühlen
Die Unkenntnis über diese Region ist oft sogar bei Masurenfans groß, auch wenn Masuren längst ein beliebtes Urlaubsziel ist. Dennoch interessieren sich nur wenige Reisende für die einzigartige, vielfältige Kultur und die Geschichte dieses Grenzlandes, das wie der masurische Schriftsteller Siegfried Lenz einmal sagte, „im Rücken der Geschichte“ lag.
Dort lebten Menschen, die spätestens seit der Reichsgründung 1871 unzählige Germanisierungsversuche über sich ergehen lassen mussten, und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unbedingt polonisiert werden sollten. Nun sah man die Masuren nämlich als Autochthone (Einheimische) mit polnischen Wurzeln an, denen man die „Jahrhunderte der Germanisierung“ quasi nur abkratzen müsse, und sie der polnischen Kultur wieder nahe bringen müsse. Gefragt wurden die Masuren weder von den einen noch den anderen. Die Masuren nämlich wollten eigentlich nur als Masuren leben. All diese mal mehr, mal mit weniger Zwang erfolgten Bekehrungsversuche trugen dazu bei, dass Masuren heute eine Region ohne Masuren ist.
Aber Masuren wäre nicht Masuren, wenn dieses Land mit seiner unverwechselbaren Landschaft die Menschen nicht mindestens genauso starkgeprägt hätte, wie die Menschen das Land. Den Beleg dafür brachten die Jahre nach der politischen Wende 1989, als die Menschen, die heute dort leben und geboren sind, infolge des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags nun die Sicherheit hatten, dass Frieden herrscht und sie dort würden bleiben können. Sie wurden neugierig, und begannen sich tabulos mit Geschichte und Kultur Masurens zu befassen. Sie begannen sie sich anzueignen, ohne dabei deutsche Spuren auszublenden. Daraus wurde die späte kulturelle Aneignung Masurens durch seine heutigen Bewohner. In der Folgebildete sich eine neue masurische Regionalidentität heraus. Erstaunt begann man ebenso vorurteilslos zu entdecken, dass es so etwas wie eine „schwebende nationale Identität“ im Ermland und in Masuren gegeben hatte. In dieser besonderen Identitätsform kam es weder in Masuren noch im Ermland den Menschen unnatürlich vor, sich als deutsch zu bezeichnen, was die nationale Zugehörigkeit betraf, daheim aber polnisch zu sprechen und ihre ganz eigene Kultur zu pflegen. Dabei waren die Masuren mit ihrer Kultur nur ein Teil der kulturellen und ethnischen Vielfalt Ostpreußens, das einst eines der ersten großen Einwanderungsländer war.
Doch regionale Eigenheiten und Identitäten waren nicht erwünscht, egal ob unter deutscher oder polnischer Herrschaft. Masuren war nie eine geopolitische Einheit wie das Ermland, das einstmals ein Fürstbistum war. Masuren war immer nur eine Region. Und so blieb Masuren in seiner ganzen Geschichte ein Objekt, eine Verfügungsmasse, über die verhandelt wurde. Ob der fehlenden geopolitischen oder staatlichen Strukturen wurde es nie zum selbstständig agierenden Subjekt. Seit es Nationalstaaten in der Region gab, war Masuren so Streitpunkt zwischen Polen und Deutschland.Eigentlich saßen die Masuren immer zwischen allen Stühlen. Sie waren früher unter deutscher und später unter polnischer Herrschaft immer eine ethnische Minderheit und Spielball der Interessen. Stets waren die Masuren den einen zu polnisch und den anderen zu deutsch.
Wann die Geschichte Masurens begann?
Die Geschichtswissenschaft ist sich da heute recht einig. Sie beginnt mit den Prussen, dem westbaltischen Volk, dessen Stämme der Sassen, Galinder und Sudauer die Region des heutigen Masurens besiedelte.
Die prussischen Stämme, Foto Renata3, CC BY-SA 3.0
Erste Zeugnisse über sie stammen aus den Zeiten um die Jahre 965 bis 1.000. Dieser Raum wurde vom Deutschen Orden bis 1283 erobert und insoweit befriedet, als alle Prussenaufstände niedergeschlagen waren. Der neu entstehende Ordensstaat wollte ein christliches und loyales Staatsvolk. Die Sprache und die ethnische Zugehörigkeit waren zweitrangig, der Gedanke an einen Nationalstaat hatte in das Denken damals noch nicht Einzug gehalten. Das also waren die Ansiedlungsbedingungen dieses ersten Einwanderungslands der europäischen Geschichte. Dafür wurde den Neusiedlern Land geboten,. Wer an die Tore einer Stadt klopfte und als Neubürger aufgenommen wurde, brauchte Verfolgung nicht mehr zu fürchten. Auch wenn die Obrigkeit der Heimatregion die Auslieferung verlangte, wurde dem Neubürger Schutz gewährt. Stadtluft machte damals also wirklich frei.
Masuren gehörte zur „Großen Wildnis“ und war von Urwäldern bedeckt, die das Fortkommen fast unmöglich machten. Nur entlang der Flüsse konnte das Land erschlossen und versorgt werden. So waren im heutigen Masuren noch bis ins 14. Jahrhundert hinein weite Landstriche unbesiedelt. Erst dann wurden vom Orden Komtureien mit festen Häusern gegründet, die den Raum verwalteten und die Ansiedlung steuerten. Beginnend von Christburg durch den damaligen dortigen Komtur Luther von Braunschweig wurde so das Land nach Norden und Nordosten gegen Litauen gesichert.
Die Besiedlung des heutigen Masurens kam erst nach dem Frieden von Melnosee 1422 in Gang und wirklich voran ging es nach dem Zweiten Thorner Frieden von 1466 zwischen dem Ordensstaat und Polen (Königtum in Personalunion mit Litauen), als polnische Bauern und Adlige aus dem benachbarten Masowien einwanderten.
Mit der Umwandlung des Ordensstaates in das weltliche, protestantisch geprägte Herzogtum Preußen im Jahr 1525 wurden auch die Masuren Bürger Preußens und traten zum Protestantismus über. Die Ermländer hingegen bleiben katholisch, wurden zum selbstständigen Fürstbistum Ermland und blieben bis zur Ersten Polnischen 1772 unter polnischer Oberhoheit. Die Masuren blieben bis 1945 Preußen und waren seit der Reichsgründung 1871 Bürger des Deutschen Reichs.
Kriege gingen auch über Masuren her, die Pest und weitere Epidemien entvölkerten immer wieder auch hier ganze Landesteile. Die Zuwanderung ging weiter. Die sich in der Einwandererregion entwickelnde Bevölkerung war eine masurisch geprägte Mehrheitsgesellschaft. Sie assimilierte die Reste der alten prussischen Urbevölkerung und anderer Einwanderergruppen wie der Hugenotten, Salzburger, Schotten und Deutschen. Die Masuren wurden in der Folge oft „Preußische Masowier“ genannt. Sie behaupteten ihre Sprache und Kultur – trotz des Verbots die polnische Sprache zu sprechen im Jahr 1939 – bis zum Untergang Ostpreußens 1945 .
Die Germanisierung kam mit der Eisenbahn nach Masuren. Die Region war nun nicht mehr völlig weltabgeschieden. Die Wehrpflicht und die Reichsgründung 1871, die Masuren das deutsche Schulwesen brachte, öffneten der Germanisierung die Türen. Der aufkeimende und sich immer breiter entfaltende Nationalismus ließ alles Nichtdeutsche minderwertig erscheinen. Einen ersten Höhepunkt zeigte der deutsche Nationalismus im 1. Weltkrieg, als Teile Masurens lange russisch besetzt war. Die große antipolnische Welle erreicht Masuren zur Zeit der Volksabstimmung, bei der die Masuren und Ermländer als unsichere Kantonisten galten. Doch stimmte die weitaus überwiegende Bevölkerung Masurens für den Verbleib bei Ostpreußen. Hier wurde erstmals sichtbar, dass man sehr wohl sich dem deutschen Staat zugehörig fühlen konnte, und daheim eine reiche eigenständige Kultur pflegen, und polnisch sprechen konnte.
Welche Regionen gehören wirklich zu Masuren?
Heute geht man mit dem Begriff Masuren äußerst großzügig um – und das in verschiedenen Varianten. Oft wird die ganze heutige Woiwodschaft Warmia-Mazury (Ermland-Masuren) einfach auf Mazury verkürzt. Zuweilen wird immerhin das Ermand mit seinen ganz eigenen Traditionen noch ausgegrenzt. Dann werden nur die übrigen Teile der Woiwodschaft schlicht Mazury genannt. Das ist nicht nur reine Bequemlichkeit im Sprachumgang, sondern hat mit der Bekanntheit Masurens/Mazury zu tun, denn für die Polen ist Mazury eine perfekte Urlaubslandschaft und ein Sehnsuchtsziel. Eine Region unter dem Überbegriff Masuren lässt sich daher gut vermarkten. Ein solches Beispiel ist die Aktion der Tourismusorganisation eines Bereichs, der weite Teile des Oberlands sowie die ganze Eylauer Seenplatte umfasst. Promotet wird die Region nun als Westmasuren. Zum historischen Masuren gehörten beide Gebiete nicht, die Eylauer Seenplatte gehörte zu Westpreußen, das Oberland – auch Höckerland genannt – wurde immer als eigenständige Region gesehen.
Eine genauere Betrachtung, welche Landstriche man nun eigentlich historisch gesehen zu Masuren zählen sollte, hat der Historiker Andreas Kossert in seinem Buch “Masuren. Ostpreußens vergessener Süden“ umrissen. Kossert legt darin die Grenzen Masurens anhand der Verbreitung der polnischen Sprache fest. Diese masurisch-polnische Sprache beruht auf den westpolnischen Dialekten der masowischen Einwanderer des 14. und 15. Jahrhunderts. Durch die Auswanderung verlor die Sprache den Kontakt zur Herkunftssprache und entwickelte sich nicht mit dieser weiter. Viele Germanismen traten im Laufe der Jahrhundert in das in Masuren gesprochene Polnisch ein. Dennoch gibt es nicht wie vielfach behauptet eine eigenständige masurische Sprache. Alle Grundstrukturen und alle Adaptationen deutsche Begriffe beruhen auf diesen polnischen Sprach- und Grammatikstrukturen.
Nur die Bereiche, in denen diese Sprache gesprochen wurde, zählt Andreas Kossert zu Masuren. Es sind dies die alten Landkreise Neidenburg (Nidzica), Ortelsburg (Szczytno), Sensburg (Mrągowo), Johannisburg (Pisz), Lötzen (Giżycko), Lyck (Ełk) und Oletzko (Olecko) und Teile der Kreise Osterode (Ostróda), Angerburg (Węgorzewo) und Goldap (Gołdap).