Ein Jahr kleiner Grenzverkehr Russland-Polen

Russisch-polnische Grenze bei Bagrationowsk/Bezledy, Foto: Brigitte Jäger-Dabek

Seit einem Jahr besteht die Regelung des kleinen Genzverkehrs zwischen dem Kaliningrader Gebiet und einem Teil Ermland-Masurens und der Metropolregion Danzig mit Hela in Pommern. Das ist für viele Medien in Polen und in Kaliningrad, dem einstigen Königsberg, eine erste Bilanz zu ziehen.

Das Antragsverfahren ist relativ einfach. Man beantragt als Einwohner der gelisteten Regionen eine fünf Jahre gültige Reisegenehmigung und darf sich dann bis zu 90 Tage pro Halbjahr visumfrei im jeweils anderen Land in den grenznahen Gebieten aufhalten, nicht jedoch länger als 30 Tage in Folge.

Zu den Gebieten, die am kleinen Grenzverkehr Teilnehmen gehören in der Woiwodschaft Ermland-Masuren die Städte und Kreise Elblag (Elbing), Olsztyn (Alleinstein), Bartoszyce, Braniewo und Goldap. In Pommern gehören sogar die Metropolregion Danzig-Dreistadt mit Sopot und Gdynia dazu und die als gehobenes Ferienziel beliebte Halbinsel Hela/Hel, wo sich einige luxuriöse Wellnesshotels angesiedelt haben. Auf russischer Seite ist das gesamte Kaliningrader Gebiet einbezogen, mit Ausnahme der Sperrgebiete. Damit ist der Rechtsbegriff „kleiner Grenzverkehr“ an der russisch-polnischen Grenze weit großzügiger ausgelegt, als das EU-Regelwerk es eigentlich vorsieht.

Lebenselexir des regen Hin und Her an den vier russisch-polnischen Grenzverkehrs ist das Preisgefälle zwischen den Regionen: In Polen ist bis auf Benzin fast alles ganz erheblich billiger als im russischen Kaliningrader Gebiet, während in Russland das Benzin billig ist. In Zahlen ausgedrückt liest sich das so: Hinter der russischen Grenze zahlt man für einen Liter Super bleifrei etwa 75 Cent, in Polen kostet er fast doppelt so viel. Im Kaliningrader Gebiet ist alles andere erheblich teurer, auch Grundnahrungsmittel wie milch, die dort genauso fast zweieinhalb Mal so viel kostet wie andere Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs wie Obst, Gemüse, Putzmittel oder Waschmittel. Ähnlich ist die Preisdifferenz bei gehobenen Konsumartikeln.

Als Ursache für das Preisgefälle sehen Wirtschaftsfachleute der Region drei Gründe:

  1. Fast alle Konsumgüter und viele Lebensmittel müssen über größere Strecken aus dem russischen Mutterland über die Ostsee, per Luftfracht, auf dem Landweg durch Litauen oder Weißrussland antransportiert werden.
  2. Übermäßige Gewinnspannen russischer Handelsketten
  3. Korruption und Schutzgelderpressung durch Staatsbeamte

Russischer Shoppingtourismus

Obwohl Danzig rund 130 Kilometer von Kaliningrad entfernt ist, beschränkte sich der russische Shoppingtourismus keineswegs etwa nur auf die grenznahen Städte wie Goldap oder die Woiwodschaftshauptstadt Olsztyn/Allenstein. Danzig erlebt eine wahren Run aus Kaliningrad, ist doch die Dreistadt auch für finanziell gut gestellte kaliningrader immer eine Reise wert, da wird die neueste Unterhaltungselektronik aus den Danziger Shoppingmalls geschleppt, Möbel von Ikea abtransportiert, Designerklamotten oder Kosmetika aus den schicksten Boutiquen der Region und selbst vor Alkohol macht der Kaufrausch nicht halt, denn nicht einmal der ist teurer in Polen, in jedem Fall aber ist die Auswahl größer und man kann sicher sein keine gepanschte Ware zu kaufen.

Die russische Millionenkaufkraft

Schon im Jahr 2012 kauften nach polnischen Zollangaben russische Staatsbürger aus dem Kaliningrader Gebiet in polnischen Läden für 5,7 Millionen Euro ein. Hierbei handelt es sich aber ausschließlich um Waren, für die Tax Free Ausfuhrbelege zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer ausgestellt wurden. 22.000 solcher Belege bearbeitete der polnische Zoll im Jahr 2012. Diese Belege werden in den Geschäften aber meist erst ab einem Einkaufswert von mindestens 50 Euro ausgestellt. Meist handelte es sich dabei um Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik. Mit dem wirklichen Einkaufsvolumen dürfte diese Zahl aber nicht viel zu tun haben.

Seit Beginn der Regelung ist die Zahl der Grenzübertritte monatlich stetig angestiegen. So hatte sich durch die ja erst im zweiten Halbjahr in Kraft getretene Regelung die Zahl der jährlichen Grenzübertritte schon verdoppelt. Waren bis kurz vor der Regelung maximal 5.000 Grenzübertritte täglich das Maximum, sind es heute an den Wochenenden 20.000 und in der Woche 12-15.000 Grenzübertritte am Tag. Experten gehen daher davon aus, dass die russischen Einkaufstouristen an die 20 Millionen Euro pro Monat in den polnischen Läden lassen.

Polnischer Benzintourismus

Der polnische Benzintourismus bewegt sich oft in einer Grauzone. Einmal pro Tag ist der Grenzübertritt pro Person für eine Tankfahrt erlaubt. Die meisten polnischen Fahrer kommen nur wenige hundert Meter weit nach Russland herein, denn die Tankstellen in Grenznähe schießen wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden. So weit ist alles ganz legal, denn es ist nicht verboten. die Grenze zu passieren, um sein Auto günstig vollzutanken.

Auffällig ist allerdings die große Zahl von in die Jahre gekommenen Kraftfahrzeugen wie Kombis, Kleintransporter oder alte Limousinen. Gemein ist dieser seltsamen Flotte, dass alle diese Methusalems auf Rädern einen von Haus aus großen Tank mit einem Fassungsvermögen von um die hundert haben. Dann wird voll getankt und schnell geht es zurück nach Polen. Dort wird der Tank geleert, der Fahrer gewechselt und wieder geht es über die Grenze an die nächste russische Tankstelle. Das geht dann bis zu fünf Mal am Tag so und schnell wird klar, dass dies Schmuggel ist, denn hier wird mit Benzin gehandelt. Das aber ist keinesfalls von der neuen Regelung zum visafreien Grenzverkehr erlaubt, Handel bedarf nach wie vor eines Visums. Die russischen Zollbehörden klagen bereits hierüber und hoffen auf eine Neuregelung auf polnischer Seite, die etwa der litauischen Regelung gleicht, die pro Pkw vier voll betankte Ausreisen aus dem Kaliningrader gestattet.

Anders als sonst sehr kooperationsbereit und auf möglichst wenig bürokratischen Aufwand bewacht ist besonders die russische Seite, die dieses Projekt ausgesprochen hätschelt. Daher wird auch fast jede Kröte geschluckt, selbst das polnische Interesse, das sich hauptsächlich auf Tanktourismus beschränkt. Man tut alles, um das Projekt visafreier kleiner Grenzverkehr zum Erfolg zu machen, denn es soll der erste Schritt einer Entwicklung sein, an deren Ende die vollständige Visafreiheit zwischen Russland und der EU stehen soll.  Man zeigt sich geduldig und sieht durchaus die Gemeinsamkeiten der Regionen Kaliningrader Gebiet und der Woiwodschaft Ermland-Masuren: Die Strukturschwäche dünn besiedelter Landstriche bedingt, dass hüben wie drüben noch immer viele Einwohner um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen und einfallsreich jede Möglichkeit nutzen. Die Entwicklung des Tourismus geht ohnehin derzeit noch immer fast ausschließlich in Richtung Polen. Dort verbrachten auch in diesem Jahr viele Russen ihre Sommerferien, ob in Masuren oder an der Ostsee. Dabei geht es nicht um die schöneren Strände und mehr Sehenswürdigkeiten wie im Raum Danzig. Die bessere touristische Infrastruktur, das überlegene Hotelangebot und die große Auswahl schnürt einfach das bessere Angebot. Da werden der russische Teil der Kurischen Nehrung oder die Samlandküste noch warten müssen.