Stirbt die Woiwodschaft Ermland-Masuren aus?

Weniger Abwanderung in Städten wie Ostrodo (Amphiatheater), Foto: B.Jäger-Dabek

Stirbt die polnische Woiwodschaft Ermland-Masuren (Warmia i Mazury) aus? Liest man die jüngsten Zahlen, möchte man es meinen. Seit dem EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 hat jeder fünfte Einwohner die Region wegen der fehlenden Arbeitsplätze und Zukunftsaussichten verlassen. Das ergibt die jüngste, im Auftrag der Erzdiözese Ermland durchgeführten Umfrage.

Jeder 5. Einwohner der Diözese Ermland wandert aus

Im Laufe der letzten neun Jahre hat sich die Bevölkerung der Erzdiözese um 17,5% verringert. Vor Polens EU-Beitritt lebten rund 700.000 Menschen in der Region. Nach offiziellen Statistiken sind dort 674.000 Personen gemeldet, tatsächlich leben dort aber nur 556.000. Das ist das Bild der Bevölkerungsentwicklung, wie es die im Mai durchgeführte Untersuchung des Paters Krzysztof Bielawny ergab, berichtet die polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“.

Der Geistliche glich in seiner Untersuchung die amtlichen Meldezahlen mit Informationen aus allen 263 Gemeinden der Diözese über die tatsächlichen Einwohnerzahlen ab. Dieser Abgleich ergab, dass statt der offiziell gemeldeten 674.000 Personen nur 556.000 in der Region leben. Verglichen mit den 700.000 Einwohnern vor Polens EU-Beitritt bedeutet das eine Abwanderung von 144.000 Personen in den letzten neun Jahren.

Arbeitsmigration vorwiegend ins EU-Ausland

Die mit 85% weit überwiegende Mehrheit der Abwanderer bilden Arbeitsmigranten, die Polen Richtung Irland, Großbritannien, Deutschland, Schweden, Italien oder Belgien verlassen haben. Die Übrigen wanderten in Polens großstädtische Zentren ab, Danzig und Warschau waren die bevorzugten Ziele. Viele dieser Abwanderer sind für immer gegangen, denn sie sehen in der strukturschwachen Region Ermland-Masuren keine Perspektiven für die Familien.

In vielen Samtgemeinden Ermlands und Masurenes gehörten verlassene Häuser und Dörfer, in denen es wie in Südeuropa nur noch alte Menschen gibt, längst zum Alltag. Fast alle Menschen, die Ermland-Masuren verließen, hätten geäußert, nicht wieder kommen zu wollen, denn sie wüssten nicht wofür, es gäbe keine Arbeit.  Dies hätten ihm die Gemeindepfarrer berichtet, die seine Umfrage durchgeführt hätten, berichtet Pfarrer Bielawny. Er betont, dass die fehlenden Arbeitsplätze und die Perspektivlosigkeit der Hauptgrund für die Abwanderung aus der Region sei. Die Abwanderer sähen keinerlei Aussichten, Vor allem in den ehemaligen PGR-Dörfern, in denen die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften einziger Arbeitgeber waren, ist nach deren Abwicklung zuweilen eine Arbeitslosenquote von bis zu 80% anzutreffen. Dort lebten viele junge Menschen und Kinder in einer Umgebung und Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und Apathie, erklärt Bielawny. Die Menschen könnten dort keine Arbeit finden und warteten nur auf die Zahlung staatlicher Sozialtransferleistungen; weiß Bielawny.

Dramatische Entwicklung in einigen Dekanaten

Die Untersuchungen der Erzdiözese ergeben, dass am meisten das Dekanat Ketrzyn/Rastenburg betroffen ist mit einer Bevölkerungsabwanderung von 37,8%, es folgen die Dekanate Reszel/Rößel mit 30,3%,Pieniezno/Mehlsack mit 30%, Gorowo Ilawieckie/Landsberg mit 29,9% und Jeziorany/Seeburg mit 28,1%. Am anderen Ende der Skala mit nur 4,8% steht die Stadt Olsztyn/Allenstein, die ob ihrer Bevölkerungszahl von rund 175.000 Einwohnern die Statistik zumindest etwas freundlicher gestaltet.

Wer sind die Abwanderer?

Zwei große Gruppen machen das Gros der Auswanderer aus. Verheerend für die Region ist, dass vor allem junge Menschen abwandern, die eigentlich die Zukunft der Region sein sollten. Es gehen aber auch viele um die 50-jährige, dann zumeist mit der ganzen Familie.

Die Gemeindepfarrer wissen von manchen Familien, die seit Jahren in Großbritannien oder anderswo sind und deren heranwachsende oder schon fast erwachsene Kinder dort zur Schule gegangen sind und nun studieren. Pfarrer Bielawny erzählt, dass die Kinder dieser Familien oft bereits für ihre Heimat in Polen verloren sein. Die Eltern hätten meist große Sehnsucht nach ihrer Heimat und redeten darüber mit Tränen in den Augen. Doch sie sähen, dass sie dort keine Perspektiven hätten. Dort gäbe es keine Arbeit, sie könnten nicht einmal eine Wohnung mieten, im Ausland am Arbeitsort aber hätten sie ein eigenes Haus kaufen können.

Tourismus ist für viele Menschen in der Region ein Ausweg, kann aber nicht für alle Menschen der Region das Allheilmittel sein. Selbst in Ermland-Masuren sind nicht alle Regionen für Urlauber gleich attraktiv wie die Urlauberhochburgen an den großen masurischen Seen oder den Seenplatten Westmasurens. Nicht umsonst sind neben Allenstein/Olsztyn touristisch wichtige Regionen wie Lötzen/Gizycko oder Nikolaiken/Mikolaiki an der großen Seen oder das verkehrsmäßig gut erschlossenen Osterode/Ostroda an den westmasurischen Seen weniger stark von Abwanderungen betroffen.

Die von Pfarrer Bielawny gesammelten Daten bestätigen die dramatische Entvölkerung nicht nur Ermland-Masurens, sondern ganz Polens, bestätigen die Zahlen des polnischen Statistischen Hauptamts GUS die besagen, dass seit 2004 rund zwei Millionen Polen abgewandert sind. Besonders strukturschwache und dünn besiedelte Regionen wie Ermland-Masuren mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage sind von Entvölkerung bedroht.