Ostpreußen 1914 – Der vergessene Krieg

Siegesparade der russischen Rennenkampf-Armee auf dem Alten Markt in Insterburg vor der Lutherkirche, Foto: gemeinfreiIn diesen Tagen jährt sich der Beginn des 1. Weltkriegs zum hundersten Mal. Zogen die Massen im Westen des Deutschen Reichs jubelnd mit den abmarschierenden Soldaten zu den Bahnhöfen, vereint im „August-Erlebnis“, blickten die Menschen in Ostpreußen, dem äußersten Landzipfel Deutschlands besorgt zu den Grenzen nach Russlands. Wenigen Menschen in den grenznahen Regionen war es entgangen, wie dünn der Truppenschleier war, der einen Einmarsch der russischen Truppen aufhalten sollten.

Und dann kamen sie, viel früher als erwartet, war doch der deutsche Generalstab davon überzeugt, die russische Mobilmachung würde schleppend verlaufen und es würde mindestens sechs Wochen dauern, bis die Zaren-Armee zur Offensive fähig waren. Bis dahin hoffte man, den Westfeldzug gemäß Schlieffen-Plan siegreich beendet zu haben – ein Plan B existierte nicht.

Die ersten Kavallerieattacken und Gefechte zwischen Deutschen und Russen fanden bereits am 2.8.1914 bei Prostken, am 4.8.1914 bei Kirbarty, am 5.8.1914 bei Soldau, am 9.8.1914 bei Gehlenburg auf deutschem Boden statt. Noch handelte es sich nur um Nadelstiche, doch reichte das, die Bevölkerung in Panik zu versetzen, denn darauf hatte sie niemand vorbereitet, schon gar nicht auf die Maßgabe des Schlieffen-Plan Ostpreußen notfalls kurzzeitig zu verlieren. Eine völlig ungeregelte Flucht der Ostpreußen setzte ein.

Die russische Armee plante, in zwei Flügeln mit einer Zangenbewegung nördlich und südlich der Masurischen Seenplatte Ostpreußen vom Reich abzuschneiden. Im Norden marschierte die Njemen-Armee (1.Armee) unter General Paul Edler von Rennenkampff auf Königsberg zu, im Süden die Narew-Armee (2.Armee) unter General Aleksander Wassiljewitsch Samsonow. Rennenkampff marschierte am 17.8. ein, Samsonow folgte.

Ihnen gegenüber stand die deutsche 8.Armee unter Generalleutnant von Prittwitz und Gaffron, die weniger als halb so stark war. Schon nach den ersten Gefechten sah Prittwitz Ostpreußen als verloren an und wollte sich hinter die Weichsel absetzen. Er wurde abgesetzt und durch die Generäle Hindenburg und Ludendorff ersetzt, die am 24.8. im Hauptquartier des Generals von Scholtz im Süden Ostpreußens bei Tannenberg eintrafen. Ihr eigentliches Verdienst beruhte darauf, einen sich anbahnenden strategischen Vorteil zu erkennen, die Aktionen zu forcieren, geschickt umzugruppieren und die Samsonow-Armee in der am 26.8 beginnenden, später so genannten Tannenbergschlacht am 30.8. endgültig einzukesseln. Samsonow nahm sich das Leben, 92.000 Russen wurden gefangen genommen.

Doch damit war der Krieg in Ostpreußen längst nicht beendet. Noch war die Armee von Rennenkampf, der sein Hauptquartier in Insterburg aufgeschlagen hatte, intakt. Gleich nach dem Sieg von Tannenberg wandten sich Hindenburg und Ludendorff gegen Rennenkampf. Die Zeit drängte, denn der österreichisch- ungarische Teil der Ostfront war dem Zusammenbruch nahe.

Seit dem ersten Mobilmachungstag der Russen war Zeit verstrichen, und die Zarenarmee hatte sich der vollen eigenen Angriffsfähigkeit genähert. Rennenkampfs Soldaten anders als die Samsonows ausgeruht, gut genährt und pausenlos verstärkt worden. Er zog sich ein Stück aus dem Westen zurück und besetzte mit seinen Truppen ein fast 180 km lange Frontlinie, die im Norden vom Kurischen Haff entlang der Deime über Wehlau – Gerdauen – Nordenburg – Angerburg hinter dem Mauersee entlang bis hinunter nach Johannisburg. So war ein Einkesselungsangriff gegen die Njemen – Armee nicht möglich, im Norden standen dem Haff und Memel entgegen und die Front wäre ohnehin zu lang geworden für die vorhandenen deutschen Kräfte.

Hindenburg und Ludendorff entschlossen sich daher gleichzeitig frontal gegen Rennenkampfs Zentrum und seine südliche Flanke an den masurischen Seen anzugreifen. Im eben gerade freigekämpften Süden wurde nur einen dünner Truppenschleier belassen.

Die deutsche 8. Armee wurde die im Raum Willenburg – Allenstein zum Vormarsch bereit gestellt und rückte ab dem 6.9. vor. Rennenkampf zog sich zurück, zunächst geordnet ab dem Fall von Insterburg am 11.9. strebten sie in panischer Flucht dem Njemen zu um einer Umfassung zu umgehen. Die Deutschen gingen in Eilmärschen vor in einem Wettlauf mit der Zeit. Nicht mehr Rennenkampf doch noch zu umfassen war das Ziel, sondern möglichst schnell Truppen für den österreichischen Abschnitt der Front abstellen zu können. Der drohende Fall des Industriereviers Oberschlesien hätte jeden Sieg in Ostpreußen bedeutungslos gemacht. So erreichte die 8. Armee am 12.9 bei Suwalki erstmals russischen Boden. Am 15.9. war die Schlacht nach Eilmärschen von mehr als hundert Kilometern beendet. Die 8. Armee steht im Raum Wirballen – Augustow – Suwalki. Rennenkampf war schwer geschlagen, aber nicht vernichtet. Doch waren auch diese aufopferungsvollen Kämpfe russischer Truppen bedeutend für das Nichtgelingen des deutschen Schlachtplans im Westen.

Ostpreußen blieb nicht lange vom Kriegsgeschehen verschont. Die 8. Armee musste das XI., XVII. und XX. Armee Korps an die galizische Front abgeben, nur noch ein dünner Truppenschleier blieb. war es klar, dass die Russen wieder in Ostpreußen eindringen würden. Diesmal aber wurde die Zivilbevölkerung planmäßig evakuiert. Etwa 350 000 Ostpreußen, teils eben erst zurück gekehrt verließen ihre Heimat.

Die neu aufgestellte, umgruppierte russische Armee unter General Sievers rückte mit Teilen der alten Njemen – Armee auf breiter Front zwischen Memel und Kolno westwärts gegen die Reste der 8. Armee unter von Below vor. Es kam zu teils erbitterten Schlachten, bei denen einige Städte mehrfach den Besitzer wechselten und zerstört wurden. Erst mit Einsetzen des in Ostpreußen harten Winters erstarrte der Bewegungskrieg im Osten zum Stellungskrieg.

Um der Entlastung der südlichen Front und der Befreiung Ostpreußens willen entschloss sich Hindenburg zu einer Winteroffensive in Masuren. Es gelang den deutschen Aufmarsch geheim zu halten, trotz der 200 000 inzwischen wieder in Ostpreußen stehenden Russen..Die vier für Ostpreußen zur Verfügung stehenden Korps verstärkten teils die 8. Armee und bildeten teils die neue 10. Armee unter General von Eichhorn.

Der Aufmarsch erfolgte hauptsächlich längs der Linie Ortelsburg – Tilsit. Anfang Februar traf das XX. Korps zurück von der 9. Armee ein und wurde als Flankenschutz im Raum Ortelsburg aufgestellt. Der sofort beginnenden Vormarsch sollte zwischen Lötzen und Gumbinnen entlang führen und an beiden Flügelnab dem 7.2.1915 zuschlagen. Trotz der Schneestürme entwickelte sich die Schlacht erfolgreich, am 8.2. fiel Johannisburg wieder in deutsche Hand, als am 14.2. das hart umkämpfte Lyck zurückerobert war, zogen sich die russischen Truppen Richtung Augustow zurück, das die deutschen Truppen unter General Litzmann am 17.2. erreichten. Auch die 10. Armee und Norden kam gut voran und erreichte den Grenzort Wirballen am 10,2, und a, 14.2. den Rand der riesigen Augustower Wälder auf der Linie Suwalki – Seiny und schwenkte dort südöstlich ein. Am 18.2 war der Kessel geschlossen .Nur Litzmanns Verbände standen vor der Festung Grodno zunächst isoliert, konnten dem Ansturm der zurückflutenden Russen aber standhalten. Am 21.2.1915 gaben die Russen den sinnlosen Widerstand auf.

Nördlich des Pregels hatten die Kämpfe erst Mitte Februar ein, dort standen die Russen nordöstlich von Tilsit noch auf deutschem Gebiet. Am 18. Februar nahmen der deutsche Landsturm unter dem Königsberger Gouverneur von Pappritz Tauroggen. Als man sich schon befreit wähnte, attackierten die Russen nur von schwachen Kräften verteidigte Memel und nahmen es am 18.3. , ebenso Tauroggen. Es gelang erst am 21.März Memel zu befreien. In den folgenden Tagen wurde dann das ganze Memelland zurückerobert, am 28. / 29. März fiel auch Tauroggen an die Deutschen zurück. Damit war Ostpreußen befreit.

Dies waren also keine kleinen Einbrüche oder Geländegewinne der Russen, zeitweise waren zwei Drittel Ostpreußens russisch besetzt und das vom August 1914 bis zum Februar 1915. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende Kriegslawine hinterließ – allein durch die Kampfhandlungen – ein weitgehend zerstörtes Land: 100.000 Ostpreußen hatten ihre gesamte Habe verloren, 39 Städte und 1.900 Dörfer wurden zu mehr als 50% zerstört. Die Verluste an Gebäuden, Vieh und Getreide betrugen umgerechnet 15 Milliarden Euro.

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