Geschichte: Ermland ist anders

Karte des Ermlands von 1755 von Friedrich Endersch, Foto: CC-PD-Mark, PD Old
Karte des Ermlands von 1755 von Friedrich Endersch, Foto: CC-PD-Mark, PD Old

 

Das Ermland hat die Form eines keilförmigen Axt-Blattes. Die schmale Kopfseite lehnt sich zwischen Frauenburg/Frombork und Braunsberg/Braniewo ans Frische Haff an. Es erstreckt sich landeinwärts nach Südosten bis zu einer Linie von hinter Allenstein bis nach Rößel.

Als der Deutsche Orden von Marienburg aus die Region des heutigen Ermlands im 13. Jahrhundert erreichte, lebten dort die Prussenstämme der Warmen, dazu Natanger und Barten im Nordosten sowie Galinder und Pogesanen im Süden und Westen.

Erstmals urkundlich als Warmia wurde die Region schon 1249 erwähnt, 1262 taucht die Bezeichnung Wormeland auf, 1299 wird der Name Ermelandt urkundlich erwähnt. Der von Simon Grunau verbreiteten fantasiebegabten Entstehungssage nach nannten sich die Warmen nach Warmo, dem neunten Sohn des historisch nicht belegten Königs Widowuto. Nach dieser Sage teilte Widowuto sein Land unter seinen zwölf Söhnen auf, nach deren Namen die Regionen künftig benannte wurden. Warmo erhielt das Land zwischen Nava/Nariensee und der Bassora/Passarge.

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhoben sich die prussischen Stämme immer wieder gegen die Ordensherrschaft. Während die anderen Prussenstämme von 1260-1273 immer wieder Aufstände gegen den Orden anstrengten,   erkannten die Pomesanen, Natanger und Warmen schon m Jahr 1249 im Vertrag von Christburg die Herrschaft des Ordens an. Sie mussten aber  zum Christentum übertreten.

Das Ermland war damals weitgehend von Urwäldern bedeckt. Nur an Haff und Meer sowie den Ufern der Flüsse war das Fortkommen, Warentransport und der Bau von Siedlungen möglich. So wurden die Orte Frauenburg und Braunsberg am Haff bereits im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts von Lübecker Siedlern gegründet. Die übrigen Teile des Ermlands wurden erst ab dem 14. Jahrhundert überwiegend von deutschen Kolonisten besiedelt. Im Zentrum der Region um Wormditt/Orneta und Heilsberg/Lidzbark Warminski siedelten Einwanderer aus Schlesien, deren ganz besondere Mundart, das „Breslauische“ bis 1945 überlebte. Zuletzt wurde der Süden um Allenstein besiedelt. Es gab nicht nur deutsche Kolonisten im Laufe er folgenden Zeit  Die Region Preußisch Holland/Paslek wurde von Holländern und Flamen besiedelt, deren Fachwissen in der Melioration sehr gefragt war, auch aus Schottland kamen Siedler, später Hugenotten aus Frankreich. Im Süden, wo das Ermland an Masowien grenzte, kamen oft von verarmten Kleinadligen angeführte polnische Siedler, vor allem, als der Orden die Wildnis im Galindergebiet in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu erschließen und zu besiedeln. Das Kammeramt der ermländischen Domkapitels  stellte Anfang des 16. Jahrhunderts fest, dass der Anteil der polnischsprachigen Bevölkerung im südlichen Ermland zu dieser Zeit von zwölf auf rund 25% angewachsen war. Zu dieser Zeit war die erste große deutsche Einwandererwelle längst abgeebbt. Die Prussen wurden in der Einwanderergesellschaft vollständig assimiliert, schon im 16. Jahrhundert war ihre Sprache im Ermland ausgestorben.

Erster Bischof des Ermlands wurde bereits 1250 der Ordenspriester Anselm, nachdem Wilhelm von Modena  auf Geheiß von Papst Innozenz IV. im Jahr 1243 die Einrichtung von vier Bistümern im Ordensland verfügte. Erster Kapitelsitz war zunächst Braunsberg, ab 1284 dann Frauenburg. Ab 1341 war Wormditt Bischofssitz, von 1350-1795 dann das Heilsberger Schloss und dann bis 1945 wieder Frauenburg.

Schnell erreichte das Ermland eine vergleichsweise selbstständige Stellung innerhalb des Ordensstaates. Schon ab1278 wurden im Ermland ausschließlich Bischöfe und Kapitelherren berufen, die außerhalb des Ordens standen. So war der Orden mehr so etwas wie die Schutzmacht des Ermlands und vertrat das Bistum nach außen. Kaiser Karl IV. vermerkte in der Goldenen Bulle von 1356 den ermländischen Bischof als Reichsfürst, das Ermland war nunmehr „Fürstbistum Ermland“.

Das Fürstbistum Ermland/Warmia blieb nun zwar Teil des Ordensgebietes – aber mit ziemlich weit gehender Autonomie. Mit dem 2. Thorner Frieden von 1466 gingen alle Rechte des Hochmeisters an die polnische Krone über. Nach der Umwandlung des Ordensstaates in das weltliche Herzogtum Preußen im Jahre 1525 blieb das Fürstbistum Ermland katholisch und unter polnischer Oberhoheit. In der ersten Zeit war es so, dass Protestanten kein Dauerwohnrecht hatten, sie mussten für drei Tage im Jahr das Ermland verlassen, danach durften sie wieder zurückkehren, also fuhren sie für drei Tage etwa nach Zinten „im Ausland“.

So blieb dieses Gebiet in seiner Entwicklung relativ kompakt und einheitlich geprägt, die Gesellschaft blieb zwar offen für Zuwanderer, die waren aber fast ausnahmslos entweder katholisch oder wurden schleunigst durch Heirat assimiliert. Es liegt auch nahe, dass sich in diesem Teil Ostpreußens mehr Polen ansiedelten als anderswo. Bis 1772 blieb das Ermland unter polnischer Hoheit, natürlich gab es polnische Einflüsse. Der Gedanke der Nation, das Streben, ein einig Volk von Brüdern sein zu wollen, und damit auch der Nationalismus sind Kinder der Französischen Revolution und der Napoleonischen Befreiungskriege. Zu jener Zeit, als Ermland polnisch war, blieb die Nationalität der Herrschaft dem Untertanen meist noch herzlich egal, er hatte andere Sorgen. Vor allem der Klerus war polnisch geprägt, den Bischofssitz Heilsberg muss man als ein Zentrum polnischer Hochkultur einschätzen. Bekanntester Vertreter war der letzte hier residierende Bischof Ignacy Krasicki, gleichzeitig ein bedeutender Dichter Polens.

Die Sprache taugte in diesem Land der Einwanderer kaum zur Unterscheidung zwischen Polen und Deutschen, denn auch zu deutschen Zeiten bis zum Ende 1945 waren viele Menschen zumindest zweisprachig und beherrschten auch die polnische Sprache, es gab auch Menschen, die Deutsche waren und dennoch besser Polnisch als Deutsch sprachen. Im südlichen Ermland, vor allem in den Regionen südlich von Allenstein sprach man bis 1945 noch vorwiegend „Po Naszamu“, was so viel wie „unter uns“ bedeutet und ein polnischer Dialekt ist. Wichtiger als die Nationalität war aber im Ermland mit Ausnahme der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer die Konfession. Das katholische Ermland war diesbezüglich sehr homogen, anders als die übrigen Teile Ostpreußens in ihrer protestantischen Konfessionsvielfalt. Die Klammer war und blieb hier der Glaube, der das Leben bestimmte in dieser katholischen Enklave.

Das Alltagsleben im Ermland war und ist bestimmt von einer tiefen Volksfrömmigkeit. Da gibt es die großen Prozessionen zu Fronleichnam, da gibt es Wallfahrten, die hier keine Frage des Einkommens sind, man muss ja nicht unbedingt gleich nach Lourdes. Gietrzwald/Dietrichswalde, Sw. Lipka/Heilige Linde oder Krosno/Krossen tun es ja auch, und dahin wurde und wird zu Fuß gepilgert.

Das gemeinsame Band des Glaubens erleichterte selbst in heutiger Zeit noch die Annäherung der deutschen und der polnischen Ermländer, vereinfachte den Verständigungs- und Versöhnungsprozess. Prozessionen und Wallfahrten waren und sind feste Eckpunkte im Jahreslauf. Auch für einen Nicht-Katholiken ist das Erleben eines solchen Festes des Glaubens eine außergewöhnliche Erfahrung, besonders an einem Wallfahrtsort wie dem barocken Sw. Lipka/Heilige Linde. Denn das hat diese tiefe Religiosität uns allen beschert: einige der herrlichsten Kirchenbauten.

Besonders lohnend sind die Wallfahrtskirche Heilige Linde, voll barocker Prachtausstattung mit einer wunderbaren Orgel, der Dom in Frauenburg mit einer Akustik, die beim Orgelklang der Bachschen Toccata und Fuge den Boden vibrieren lässt, die im Gegensatz zum lichten Frauenburger Dom fast mystisch dunkle Jacobikirche in Allenstein, heute Bischofssitz, die Kirchen und Anlagen der Wallfahrtsorte Dietrichswalde und Krossen, das Sanktuarium in Glottau, das Schloss mit Kapelle in Heilsberg, die Wormditter Kirche, um nur einige zu nennen. Man kann sich so eine ganze Besichtigungsroute von sehenswerten Kirchen, Wallfahrtskirchen und Sanktuarien zusammenstellen – die ermländische Kalvarienroute. Im Ermland herrscht da eine ungeheure Dichte, selbst kleine Dorfkirchen sind reizvoll ausgestattet und legen Zeugnis ab von der Frömmigkeit dieses Landes.