Der masurische Schriftsteller, Publizist und Dichter Erwin Kruk ist am 31. März 2017 verstorben und wurde am Freitag, den 7. April unter großer Anteilnahme in Allenstein (Olsztyn) auf dem städtischen Friedhof an der ul. Poprzeczna bestattet. Die Trauerfeier fand in der evangelisch-augsburgischen Chrisust-Erlöser-Kirche statt. Erwin Kruk hinterlässt seine Ehefrau Swietlana sowie einen Sohn und eine Tochter.
Kindheit und Katastrophe
Erwin Kruk kam am 4. Mai 1941 in Gutfeld (Dobrzyn) bei Neidenburg (Nidzica) als zweiter Sohn des Landwirts Hermann Kruk und dessen Frau Meta geb. Stach zur Welt. Bis Ende 1944 blieb er mit seinen Eltern und den Brüdern Richard und Werner im Heimatdorf. Im Januar 1945 nahm mit dem Einmarsch der Roten Armee die persönliche Katastrophe des nicht einmal vierjährigen Erwin Kruk ihren Lauf. Sein Vater teilte das Schicksal vieler in ihren Heimatorten verbliebenen Menschen und wurde festgenommen, niemand hat je wieder etwas über ihn gehört. So hat auch Erwin Kruk nie erfahren, ob sein Vater deportiert, oder an der nächsten Wegbiegung erschossen wurde. Bald darauf starb die Mutter bei der Zwangsarbeit vermutlich an Typhus. Die Großmutter Auguste Stach nahm ihre drei Enkel Erwin, Richard und Werner bei sich in Gilgenau (Elgnówka) bei Hohenstein (Olsztynek) auf.
Im Frühjahr 1956 kam der nun knapp Fünfzehnjährige in ein Waisenhaus. Ein Jahr lang war er dann Schüler einer Berufsschule in Osterode (Ostróda), wo er eine Ausbildung zum Schlosser absolvierte. Sein eigentliches Interesse allerdings galt damals schon der Literatur, in seinen Jugendjahren vor allem den skandinavischen Schriftstellern. Von Ostróda aus kam er dann nach Mohrungen (Morąg) aufs Gymnasium, wo er 1960 das Abitur machte. Danach studierte er Polonistik an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń (Thorn). Er leitete dort den Hörfunk der Studenten, gründete die literarische Gruppe „Kadyk“ und war Herausgeber des „Almanach poezji“. Im Jahr 1966 schloss er sein Studium mit der Dissertation zum Thema „Der Streit über die proletarische Dichtung in der Zwischenkriegszeit“ ab.
Studium und Beginn der schriftstellerisch-journalistischen Tätigkeit
Nach dem Studienende zog es Kruk zurück in heimatliche Gefilde nach Olsztyn. Dort war er über 13 Jahre lang als Journalist bei der Zeitung Głos Olsztyński später der Gazeta Olsztyńska tätig. Dazu war Kruk als Chefredakteur der Zeitschrift Przemiany (Wandel) tätig. Seit 1969 gehörte Erwin Kruk zum Bund Polnischer Literaten (Związek Literatów Polskich) und der Gesellschaft Polnischer Journalisten (Stowarzyszenia Dziennikarzy Polskich).
Seit den 1970er Jahren war Erwin Kruk in der polnischen literarischen Presse ein Kritiker der Gängelei, der staatlichen Überwachung und allen dadurch verursachten negativen Erscheinungen im kulturellen Lebens Polens. Wegen seiner kritischen, unabhängigen Haltung wurde Kruk zum Ziel vieler Angriffe staatlicher Behörden und kultureller Einrichtungen in Olsztyn. Das aber hatte die Nebenwirkung, dass Erwin Kruk überregional wahrgenommen wurde.
Solidarność und Widerstand
Im März 1980 verließ er die Redaktion der Gazeta Olsztyńska und begann sich bei der entstehenden Gewerkschaft und Oppositionsbewegung Solidarność zu engagieren. Er wurde bald Mitglied des regionalen Vorstands der Solidarność. Bereits im Vorfeld der Ereignisse vom August 1980 und der Solidarność-Gründung äußerte Kruk in einem Interview mit der Wochenzeitung „Kultur“: „Kreativität ist ein Protest gegen das, was ist.“
Kruk war einer der Mitbegründer des von der damaligen Regierung nicht genehmigten Masurischen Kulturverbandes. Er arbeitete in dieser Umbruchzeit mit vielen gesellschaftlich-kulturell engagierten Zeitschriften zusammen und schrieb 1981- 1982 auch für die Warschauer Monatsschrift Meritum.
Erwin Kruk war Teilnehmer am polnischen Kultur-Kongress, einer auf Initiative von unabhängigen Kulturschaffenden veranstalteten Versammlung, die am 11-13 Dezember 1981 in Warschau stattfand. Dort wurden Forderungen nach einem kulturellen und gesellschaftlichen Pluralismus und der kulturellen „Annäherung an die Wahrheit“ formuliert. Der Kongress wurde von staatlicher Seite beendet. Das am 13. Dezember 1981 ausgerufene Kriegsrecht gab die Handhabe dazu. Die Teilnehmer jedoch liessen sich nicht einschüchtern und trafen sich in einer Kirche. Das kulturelle Umfeld in Olsztyn war zu jener Zeit infiltriert von SB-Mitarbeitern und weitgehend unter kommunistischer Kontrolle, Erwin Kruk galt als unliebsamer Störenfried.
Nach der Wende 1989
Nach der Wende engagierte sich der Schriftsteller auch politisch und war in den Jahren 1989–1991 für die Woiwodschaft Olsztyn Mitglied im Senat der Republik Polen, später wechselte er von der Liste des Bürgerkomitees der Woiwodschaft Olsztyn hin zur Demokratischen Union (Unia Demokratyczna), der „Professorenpartei“, die 1991 vom Kreis um den katholischen Intellektuellen Tadeusz Mazowiecki gegründet wurde. Die Partei stand für eine sozialliberale Politik mit sozialer Marktwirtschaft mit einer starken Bürgerbeteiligung und wirksamen Bürgerrechten. Orientiert war die UD an offenen christlichen Prinzipien, die auch Protestanten wie Erwin Kruk nicht ausschloß. Neben Mazowiecki waren Jacek Kuron, Adam Michnik, Hanna Suchocka und Bronisław Geremek bekannteste Parteimitglieder.
Ende der 1990er Jahre wählte der polnische P.E.N. Erwin Kruk zum Vizepräsidenten. Auch war Kruk in der Nachwendezeit Präsident der Schriftstellervereinigung SPP Club in Olsztyn. Der gläubige Protestant Erwin Kruk war 1999 Mitbegründer der Masurisch-Evangelischen Gesellschaft und Mitglied der Synode der evangelisch-augsburgischen Kirche Polens sowie Mitglied der Synode der Diözese Mazury.
Erwin Kruk wurde für seine Haltung und sein Werk mit einer ganzen Reihe von Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit der Ehrendoktorwürde der Ermländisch-Masurischen Universität Olsztyn und der Ehrenbürgerwürde der Stadt Olsztyn.
Werk und Themen Erwin Kruks
Erwin Kruk war sprachlich seit seiner frühen Kindheit von seiner kulturellen, vor allem aber der sprachlichen Herkunft abgetrennt. Er war zwar in der Lage deutsche Texte zu verstehen und mit der Hilfe eines Wörterbuchs zu übersetzen, schreiben aber konnte er nicht auf Deutsch. In seiner Kindheit, die so typisch ist für ein schutzloses, verlassenes und im Strudel von der in das Land ihres Ausgangs zurückkehrenden Gewalt und Vertreibung übrig gebliebenes kleines Kind deutscher Eltern ist, war es wichtig für das eigene Überleben und Fortkommen zu lernen, die eigene Herkunft zu verleugnen und zu vergessen.
Elternhaus von Erwin Kruk, Foto: Kawa88, CC BY-SA 3.0
Erwin Kruk zitiert für die Charakterisierung seiner Lage den vertriebenen schlesischen Literaturhistoriker Louis Ferdinan Helbig: „Die Fremde ist nicht Heimat geworden, aber die Heimat Fremde.“
Seine Themen haben fast immer mit Masuren, dem historischen und kulturellen Raum der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren und dem Schicksal der Ermländer und Masuren nach dem Krieg zu tun. Fast immer auch hat das Geschriebene autobiografische Züge. Erwin Kruk sagte einmal, nur was wehtue, könne für Ihn ein Literaturthema sein, ob in Roman- oder Gedichtform. Immer versuchte Kruk in seinem Werk die ganze reiche Kultur zu erfassen, ob es sich nun um das polnisch-masurische, das polnisch-po naszemu-sprachige Ermland oder das deutschsprachige Ermland und Masuren handelte. Er unterschied das nicht, denn für ihn waren alle Kulturanteile gleichrangig und einander befruchtend, ja ergaben erst gemeinsam das, was das Ermland und Masuren ausmachte. So gab er dem gebeutelten Land einen Teil seiner Kultur zurück.
Nebenher befasste sich Erwin Kruk auch intensiv mit Simon Dach (1605–1659), dem literaischen Freundeskreis, dem er anghörte und deren idyllischem Treffpunkt, der Königsberger Kürbishütte am Pregelufer. Dort wurden gesitliche Lieder gesungen, als anderswo der Dreissigjährige Krieg tobte. Auch übersetzte Kruk die Poesiesammlung „aus dem Liederbuch eines Germanisierten“ von Wojciech Kȩtrzynski sowie einige Gedichte von Ernst Wiechert und Gottfried Herder ins Polnische.
Wächter des Masurentums
„Ich gehöre zu der letzten Generation, die auf dem krummen Rücken die masurische Last trägt. Mein Land der Kindheit setze ich mühsam aus den Krümeln einer zerbrochenen Welt zusammen,“ sagte Erwin Kruk über sich selbst. Andere bezeichneten ihn als „letzten Preußen“ oder „Wächster des Masurentums“
„Seine weitgehend autobiographische Arbeit, zeigt das ganze Drama eines Vertreters der ethnischen Gruppe der Masuren an der eigenen Realität in einer Situation des Scheiterns aller familiären, ethnischen und sozialen Bindungen im starken Bedürfnis, die Erinnerung an seine Herkunft zu erhalten. Zu den Themen gehören Fragen der historischen Region und ihrer Gesellschaft, psychische und moralische Probleme und oft Motive einer verlorenen Kindheit und besonders stark der Landschaft Masurens,” schreibt Tadeusz Oracki in “Literatur Polens. Enzyklopädischer Führer“.
Professor Zbigniew Chojnowski charakterisierte Kruk 2016 in seiner Laudatio zur Verleihung der Ehrenbdoktorwürde: „Erwin Kruk war und ist seit jeher Masure. Immer hat er den Druck widerstanden, seine Heimat zu verlassen. Sein Schaffen wurde bestimmt durch den gleichen verpflichtenden Imperativ sowohl in der Welt der Wissenschaft als auch der Literatur, nämlich die vorurteilsfreie Suche nach der Wahrheit über den Menschen und seine Eingebundenheit in die Zeitläufte seiner Umwelt. Die Leistungen Erwin Kruks als außergewöhnlich begabter Dichter, Schriftsteller, Journalist, Übersetzer, und gleichzeitig eines prominenten gesellschaftlich aktiven Menschens sind äußerst wichtig und bedeutsam in Hinsicht auf die Menschen und das ethisches Gewicht seiner Themen. Sie waren und sind entscheidend, nicht nur im Kontext der Nachkriegsgeschichte Ermlands und Masurens sondern auch der polnischen Transformationen, die 1980 ihren Anfang nahm und bis heute andauert.“
Werkauswahl:
Romane und Essays
- Drogami o świcie (1967) – Unterwegs am Morgen
- Na uboczu święta (1967) – Fernab des Festtages
- Rondo (1971) – Kreisverkehr
- Pusta noc (1976) – Leere Nacht
- Łaknienie (1980) – Begierde
- Kronika z Mazur (1989) – Masurenchronik
- Szkice z mazurskiego brulionu (2003) – Skizzen aus der masurischen Kladde
- Zapiski mazurskie 2007–2008 (2009) – Das Erbe. Masurische Notizen
Gedichte
- Rysowane z pamięci (1963) – Aus dem Gedächtnis gemalt
- Zapisy powrotu (1969) – Notizen der Rückkehr
- Moja Północ (1977) – Mein Norden
- Powrót na wygnanie (1977) – Rückkehr ins Exil
- Z krainy Nod (1987) – Aus dem Land von Nod
- Znikanie (2005) – Das Verschwinden
Sachbücher zur Geschichte der Region
- Ewangelicy w Olsztynie (2002) – Evangelische in Allenstein
- Warmia i Mazury (Ermland und Masuren). Breslau 2003
Weitere Informationen:
Im Portal der Regionalzeitung Gazeta Olsztynska finden Sie eine Galerie mit Fotos von der Beerdigung.
Video der Trauerfeier für Erwin Kruk