Masurischer Kanal: Der unvollendete Traum vom Zugang zum Meer

Schleuse Sandhof, Guja(Sluza Piaski Guja,Foto:  Wikimedia Commons, public domain Janericloebe, public domain

Als die Region im 13. Und 14. Jahrhundert vom Deutschen Orden von den dort ansässischen Prussen erorbert wurde, bestand die Landschaft überwiegend aus Urwäldern, die in weiten Teilen unbewohnt war und „Große Wildnis” genannt wurde. Ein Vorankommen war nur auf den Gewässern und in deren Ufernähe möglich. Nicht umsonst lagen fast alle Ordensgründungen an Gewässern angesiedelt. Bis in die Neuzeit hinein blieben Wasserstraßen wie auf Flüssen und den vielen Seen die wichtigsten Transport- und Verkehrswege. Der Traum von einer Wasserverbindung zwischen der Ostsee und dem Gebiet der masurischen Seen ist dementsprechend alt.  Auch die geographische Lage und Route der zu schaffenden künstlichen Wasserstraße – nämlich zwischen dem Mauersee (jez. Mamry) und Allenburg an der Alle (heute russisch, Drushba) – war früh klar.

Zuerst entstand ein Binnenwasserweg, der das Große Moosbruch und die Elchniederung erschloss:. Das 1671-1697 erbaute Kanalsystem mit  Großem Friedrichsgraben, Kleinen Friedrichsgraben und den 1833-35 erbauten Seckenburger Kanal verband die Deime kurz vor der Mündung in Labiau mit der Gilge, über die Memel und Rus per Schiff erreicht werden konnten. So waren Pregel und Memel verbunden.

Ebenfalls im 17. Jahrhundert begann man damit, einzelne Verbindungen der Masurischen Seen durch Kanäle zu schaffen. Die Pläne dazu stammten von Józef Naronowicz-Naroński und seinem Nachfolger Samuel Suchodolski, zwei polnischen Ingenieuren in preußischen Diensten. Sie sahen vor, die wegen ihrer mäandernden Gestalt teilweise sehr  flache Angerapp schiffbar zu machen, die zum Pregel führt. Der Ausbau der Angerapp  wurde 1764 vom Kammerpräsidenten Johann Friedrich Domhardt beauftragt.  Doch gab es nicht nur Finanzielle Engpässe, sondern auch große technische Probleme, dazu war die erste polnische Teilung von 1772 gekommen, die Preußens Landkarte durch die Annektionen veränderte.  So wurde der Bau 1774 eingestellt.  Die Regionen um die Angerapp jedoch profitierten von diesem ersten unvollendeten Bau, denn bis zur Zeit der Koalitionskrieg blieb der Fluss nun vor allem für Holztransporte gern genutzter Transportweg. Während der Koalitionskriege der napoleonischen Ära zwischen Frankreich und den europäischen Mächten  zwischen 1792 und 1815 wurden fast alle wassertechnischen Bauwerke zerstört, der Fluss war nicht mehr schiffbar, nur Insterburg an der Mündung der Angerapp in den Pregel hatte bis 1945 einen kleinen Hafen.

Erste Entwürfe eines Kanals, der den Mauersee mit der Alle verbinden sollte, wurden 1849 bekannt. Konkreter wurde es 1862, als der Ingenieur Lange seine Pläne für den „Allenburger Kanal“ vorstellte, dessen Route erstmals mit der finalen Streckenführung übereinstimmten.

Ostpreußenkarte, Foto: Wikimedia Commons, public domain, CC-PD-Mark, PD Old, Quelle Kreisgemeinschaft Wehlau

Schon 1796 war damit begonnen worden, die Alle schiffbar zu machen. Doch ähnlich wie bei der Angerapp türmten sich immer neue Probleme auf. Doch gelang es die Alle zwischen Wehlau und Friedland schiffbar zu machen, was für die Ziegeleien der Region einen Entwicklungsschub mit sich brachten.

Die Planung für den Kanal sahen eine 50 km lange Wasserstraße zwischen dem Mauersee und der Alle vor. Den 111 Meter hohen Höhenunterschied sollten wie beim Oberlandkanal zwischen Osterode und Elbing durch sieben „Geneigte Ebenen“ mit Staustufen überwunden werden. Zwar wurde die Durchführung des Plans 1874 beschlossen, doch  bald zeichnete sich die Bedeutung des Eisenbahnbaus ab, und – auch aus militätischen Gründen – bekamen Bahnlinien und später auch Straßen Priorität beim Infrastrukturausbau. Die Kanalpläne blieben zunächst in der Schublade.

Als zwischen 1890 und 1901 der Königsberger Seekanal mit seiner Fahrrinne von 6,7 Meter Tiefe und maximal 30 Meter Breite gebaut war, konnte gleich im Königsberger Hafen auf seegehende Schiffe verladen werden. Vorher war das nur im Ostseehafen Pillau (heute Baltijsk) möglich. Ostpreußens Landwirte wollten nun mehr am wirtschaftlichen Boom der Grunderjahre teilhaben und ihre Produkte rascher in die Ballungsgebiete des Reichs transportieren.

So lag es nun auf der Hand, die bestehenden ostpreußischen  Wasser-Verkehrswege möglichst durch einen Kanal miteinander zu verbinden und Masuren über die Alle, die in den Pregel mündet, mit der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg zu verbinden und von dort weiter durch das Frische Haff einen Zugang zum Meer zu schaffen.  Das Projekt kam nun wieder auf dei Agenda

Eine zweite Verbindung sollte durch den Masurischen Kanal ins Baltikum entstehen. Das Kurische Haff sollte ebenfalls  über den Pregel, aber dann weiter über die Deime (zwischen Tapiau und Labiau)erreicht werden können. Damit wäre gleich ein ganzes Netz von Verbindungen entstanden und das durch vergleichswqeise wenige Kanalkilomter.

Doch ein Problem bestand weiterhin: Auf den projektierten nur 50 Kilometern des Masurischen Kanals war ein Höhenunterschied von 111 Metern zu überwinden. Die 1906/07 erstellten Pläne wurden geändert, statt der „Geneigten Ebenen” sollten nun insgesamt zehn gigantische Schleusen den Höhenunterschied überwinden. Die Pläne waren nun die Grundlage der 1908 erteilten Baugenehmigung. Bereits 1910 wurde die erste Schleuse an der Alle gebaut. Die Bauarbeiten am Kanal begannen 1911, mussten aber 1914 beim Beginn des Ersten Weltkriegs unterbrochen werden. 1918 wurden sie fortgesetzt, aber 1922 wegen Geldmangels erneut gestoppt.

Als Regelprofil bekam der Masurische Kanal ein modernes Trapezprofil mit ebenen, nicht terrassierten Fläche und einer Böschungsneigung von1:2,5, wie es bis heute ähnlich (Böschungsneigung heute 1:3) beim Nord-Ostseekanal oder Mittellandkanal zu finden ist. Mit 2,5 Metern Wassertiefe auf der 13 Meter breiten Sohle und einer Wasserspiegelbreite von 23 Metern  war er dem dort zu erwartenden Schiffsverkehr und den zur Verwendung kommenden Schiffstypen gut angepasst. Als Regelschiffstyp der Binnenschifffahrt und damit Bezugsgröße galten zur Bauzeit die Finowkähne mit einer Länge von 40,20 Metern, einer Breite von 4,60 Metern und einem Tiefgang von 1,40 Metern. Sie hätten sich auf dem Masurischen Kanal problemlos begegnen können.

Die nächste Bauphase begann 1934 und dauerte bis 1942. Zur Zeit der kriegsbedingten Einstellung der Arbeiten, waren rund 90% der Erdarbeiten abgeschlossen, auch drei Viertel der Arbeiten an den Schleusen waren beendet. Der Kanal wurde zwar nie fertig, war aber bereits geflutet, als die deutsche Wehrmacht im Spätsommer und Herbst 1944 daranging die Ostpreußenschutzstellung auszubauen, in der auch der Masurische Kanal dazu dienen sollte, die Rote Armee aufzuhalten. Bis auf eine wurden im Dezember 1944 dann alle Brücken über den Kanal gesprengt.

Die fast fertiggestellten Schleusen waren Stahlbetonbauten und mit ihren 45 Meter langen, 7,70 Meter breiten und wie der Kanal 2,50 Meter tiefen Schleusenbecken überwanden Höhenunterschiede zwischen 5,80 und sagenhaften 17 Metern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit Ostpreußen auch der Masurische Kanal geteilt. Der südliche mit gut 20 Kilometern kürzereTeil des Kanals befindet sich heute in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren, der nördliche, 30 Kilometer lange Teil auf russischem Territorium im Kaliningrader Bezirk.

Fünf der zehn geplanten Schleusen liegen heute auf polnischer Seite, auch die einzige fertiggestellte Schleuse bei Guja. Sie ist funktionsfähig und wird zur Regulierung des Wasserstandes des Jezioro Rydzowka (Rehsauer See) genutzt, der über den Masurischen Kanal entwässert wird. Vom Profil des Kanals ist heute nicht mehr viel zu erkennen, die Natur hat sich das Gewässer angeeignet, die Ufer verlanden und sind natürlich bewachsen.

Der nicht schiffbare und verlandende Kanal fließt auf polnischer Seite durch sehr dünn besiedelte Gebiete und durchquert unter anderem das Naturschutzgebiet Bajory. Dieses wird von zahlreichen seltenen Vogelarten aber auch von Wölfen als Rückzugsgebiet genutzt, auch Biberburgen findet man am Masurischen Kanal.

Mehr Infos (polnisch):  www.kanalmazurski.pl