Olsztyn – Ein Altstadtrundgang

Targ Ribny Olsztyn/Allenstein mit Gazeta Olsztynska und Neuem Rathaus im Hintergrund, Foto: B. Jäger-Dabek,

Olsztyns kulturhistorische Reize erkennt man erst so richtig, wenn man im Zentrum ankommt. Betritt man nämlich die Altstadt, entdeckt man ein restauriertes geschlossenes, mittelalterliches Ensemble mit malerischen Gassen und einigen Sehenswürdigleiten von Rang. Das kleine, intim wirkende Altstadtviertel kann man gut zu Fuß erkunden.

Durch das gotische Hohe Tor/Wysoka Brama aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, dem einzigen noch erhaltenen Stadttor, gelangt man in die Altstadt. Von 1858 – 98 diente dieses früher Obertor genannte Stadttor als Gefängnis. Prominentester Insasse war der Historiker und Publizist Wojciech Ketrzynski, ein Aktivist für die Sache der Polen. Er wurde 1863 wegen Waffenschmuggels für einen geplanten Aufstand inhaftiert. Rechter Hand vom Tor beginnt der Fischmarkt/Targ Rybny, der als letzter Bereich des Stadtzentrums gemäß alten Plänen wieder bebaut worden ist. Die Häuser an dieser Seite des Hohen Tors sind ausnahmslos neu und meist im Retrostil den Originalen nachempfunden.

Aus Kostengründen werden nur wenige Bauten originalgetreu wieder aufgebaut, wie der große Backsteinbau der „Gazeta Olsztynska“, der heute als Museum dient. Die 1886 gegründete polnischsprachige Zeitung war die Zeitung der polnischen Minderheit im Ermland (Warmia) und von großer politischer und kultureller Bedeutung. Wichtig war sie für die Polen vor allem in der Zeit der Volksabstimmung 1920. Über die Jahrzehnte sammelte sich um die Redaktion die geistige Elite der polnischen Volksgruppe.

Namen wie Seweryn Pieniezny stehen für das furchtbare Schicksal der polnischen Ermländer. Nachdem er den Ersten Weltkrieg als deutscher Soldat mitgemacht hatte, übernahm Pieniezny das Chefredakteursamt von seinem Vater. Sofort nach dem Verbot der Zeitung im September 1939 wurde die ganze Redaktion in Konzentrationslager verschleppt. Seweryn Pieniezny wurde 1940 im KZ Hohenbruch von Nazischergen ermordet, ihm zu Ehren wurde nach dem Krieg Mehlsack in Piêniê¿no umbenannt. Gleich nach Kriegsende entstand die Gazeta Olsztynska wieder. Die Zeitung, die, solange Olsztyn deutsch war, für das Polentum kämpfte, gehört heute als eine von elf polnischen Regionalzeitungen zur deutschen Zeitungsgruppe der Passauer Neuen Presse.

Unten im Haus der Gazeta Olsztynska befindet sich eine Ausstellung von Fotografien zur Olsztyner Stadtgeschichte. Weiter oben ist die Geschichte der Zeitung dokumentiert, die ein sehenswertes Stück Regionalgeschichte darstellen. Besonders die Fotos und Dokumente aus der ersten Nachkriegszeit sind auch für den nicht polnisch sprechenden Touristen sehr aussagekräftig. Im Untergeschoss des Museums findet man wechselnde Ausstellungen zur Geschichte von Olsztyn im letzten Jahrhundert, bis hin zu einer viel beachteten Ausstellung zur Geschichte der Ruhrmasuren sind die Themen oft auch für deutsche Touristen interessant.

Vom ebenfalls wieder bebauten und belebten Targ Rybny geht man weiter auf Olsztyns Paradestraße, der ul. Staromiejska, nach Süden zum alten Marktplatz, der heute ul. Stare Miasto heißt. Umstanden ist dieser für ostpreußische Verhältnisse recht kleine Markt von einem Geviert anheimelnder Giebelhäuser mit Laubengängen. Auch diese barock anmutenden Laubenhäuser sind Nachkriegsbauten, denn fast die gesamte Altstadt brannte im Frühjahr 1945 nieder. Diese neuen Bürgerhäuser sind mit Sgraffito-Medaillons verziert, die mit Olsztyns Geschichte verbundene polnische Persönlichkeiten darstellen, von den Volksdichtern Micha³ Kajka und Andrzej Samulowski über den Komponisten der Warmia-Hymne Feliks Nowowiejski bis hin zum Dichter-Bischof Ignacy Krasicki und natürlich Kopernikus.

Die ehemals zentrale Bedeutung des Marktplatzes wird durch das dominierende Alte Rathaus unterstrichen, das die Stadt-Bibliothek beherbergt. Der süd­liche, älteste Teil steht auf den Grundmauern des ersten gotischen Rathauses, das 1620 abbrannte. Im Sommer spielt sich das Leben draußen ab in Olsztyns Altstadt, Biergärten, Straßenbistros und besonders das an der nördlichen Ecke des Marktes gele­gene Altstadtcafé „Sta­romiejska“ lässt als sommerliches Straßencafé italienisches Piazza-Flair auf­kommen.

Am südlichen Ende des Marktplatzes geht die ul. Stare Miasto in die ul. Prosta über, die rechts und links von ansprechend restaurierten kleinen Läden, Bistros und Restaurants gesäumt wird. Schlendert man die Straße hinunter, kommt man nach vierhundert Metern an die Lyna/Alle. Die restaurierte alte Johannesbrücke wird von der Statue ihres Namenspatrons, des Heiligen Johann Nepumuk, überragt. Nach Westen vor der Brücke führt ein neu angelegter Fußweg, die nach der Partnerstadt benannte Aleja Gelsenkirchen, der alten Stadtmauer folgend an der Lyna/Alle entlang.

Durch eine grüne Oase mitten in der Stadt gelangt man zur Kosciol Sw. Jakuba/St.-Jakobi-Kirche, deren wuchtiger Turm schon weithin sichtbar ist. Der eindrucksvolle chorlose, dreischiffige Hallenbau wurde Ende des 14. Jahrhunderts errichtet und ist eine der bedeutendsten Leistungen ermländischer Backsteingotik. Das Netzgewölbe des Hauptschiffes sowie die Zellengewölbe der Seitenschiffe entstanden Mitte des 16. Jahrhunderts, der über 60 m hohe quadratische Turm 1596. Die Innenausstattung der mystisch-dunkel wirkenden Kirche stammt größtenteils aus dem 20. Jahrhundert, von Rang ist aber das spätgotische Triptychon im hinteren Seitenschiff und das Schreingemälde des Kreuzaltars aus dem Jahre 1553. Zwei Feuersbrünste im 15. Jahrhundert überstand der Dom leidlich, beim Schwedeneinfall im 16. Jahrhundert wurde er schwer beschädigt. Auch Napoleons Zweckentfremdung, der die Kathedrale 1807 als Gefangenenlager für 1500 preußische und russische Soldaten nutzte, überdauerte die robuste Kirche relativ unbeschadet, nicht einmal das Kriegsgeschehen von 1945 konnte sie zerstören. Seit 1945 ist die Jakobi-Kirche Sitz des ermländischen Bischofs, seit 1992 sogar Erzbischofssitz. Bekanntester Olsztyner Bischof war von 1979–1981 Józef Glemp, der spätere Primas von Polen.

Vom Hauptportal des Doms aus wendet man sich nach rechts und geht über das Kopfsteinpflaster der ul. Stanislawa Staszica wieder zum Markt an der ul. Stare Miasto hoch. Am Altstadtcafé Staromiejska vorbei läuft man direkt auf das Schloss zu. Eingezwängt zwischen der mächtigen Kreuzritterburg und den hohen Bürgerhäusern liegt rechts die kleine Evangelische Kirche, die 1877 eingeweiht wurde. Sie wird bis heute von der kleinen evangelischen Gemeinde genutzt, die im Ermland/Warmia immer in der Diaspora lebte. Die Kirche besitzt eine sehr schöne Orgel der Königsberger Orgelbauerfirma Terlitzki und erhielt ihr heutiges Aussehen 1899, als sie im neugotischen Stil umgebaut wurde.

Das Olsztyner Schloss  mit seinem quadratischen Grundriss liegt nur ein paar Schritte entfernt hoch über der £yna auf einer Insel im Flussbogen. Als Baubeginn wird das Jahr 1348 angenommen, anfangs wurde nur der Wohnflügel auf der Nordseite mit einer kleinen Kapelle, das Tor an der Ostseite und der Turm im Südwesteck errichtet. Ende des 14. Jahrhunderts wurde der Südflügel erbaut, der im 16. Jahrhundert durch eine neue Schlosskapelle erweitert wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde auf den Resten der abgerissenen östlichen Verteidigungsmauer ein dritter, nun allerdings barocker Flügel gebaut, wobei auch der heutige Zugang angelegt wurde. Der letzte große Umbau fand 1909/1910 statt, als Wohnung und Repräsentationsräume für den Regierungspräsidenten geschaffen wurden. Im Burghof fallen sofort drei rätselhafte, grob behauene Steinfiguren auf. Diese „Baben“ stammen wahrscheinlich von den pruzzischen Ureinwohnern. Schaut man hoch zum Nordflügel, blickt man auf Kopernikus’ Wohnstube, über der er unter dem Gewölbe des Schlosskreuzganges im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Tag- und Nachtgleiche eine astronomische Tafel anbringen ließ. Seine Allensteiner Erkenntnisse finden sich im fünften Kapitel seines Hauptwerkes „De Revolutionibus“ wieder.

Die Kopernikus-Ausstellung ist der reizvollste Teil des im Schloss befindlichen Museums von Ermland und Masuren/Muzeum Warmii i Mazur. Die anderen Abteilungen zur Naturgeschichte, Volkskunde und vor allem der regionalgeschichtliche Teil sind zwar in letzter Zeit verändert worden, aber immer noch nicht vollständig von historischen Halbwahrheiten und ideologischem Restmüll der vergangenen kommunistischen Epoche befreit. Immer noch erscheint die Geschichte Warmias nach 1772 etwas zu sehr im Licht eines dauernden Kampfes der zwangsgermanisierten polnischen Mehrheitsbevölkerung um Befreiung vom deutschen Joch, was so historisch nicht haltbar ist.

Lohnend ist ein Spaziergang im Schloss-Park. Auf steiler Kopfsteinstraße geht es vom Schloss hinab ins Flusstal der Lyna. Von dort aus sieht man erst, wie gewaltig die abends stimmungsvoll beleuchtete Burganlage wirklich ist, und hier macht man auch die eindrucksvollsten Fotos.

Beim Bummeln durch die Grünanlagen an der Lyna sieht man auf der dem Schloss gegenüberliegenden Anhöhe die Garnisonskirche, eine 1913 für die Allensteiner Soldaten auf Staatskosten erbaute neogotische, dreischiffige Kirche.

 

Foto Olsztyn2

Targ Ribny Olsztyn/Allenstein mit Gazeta Olsztynska und Neuem Rathaus im Hintergrund, Foto: B. Jäger-Dabek,